Humorkritik | Februar 2013

Februar 2013

Danish Dynamite

Weil ihm sein Bekanntheitsgrad zusehends die Witze versaute, sah sich der beeindruckend talentlose Comedian Simon Gosejohann irgendwann gezwungen, seine »Comedy Street« (eine mäßige Kopie des englischen Versteckte-Kamera-Formats »Trigger Happy TV«) in Polen und Tschechien zu drehen. Für den dänischen Journalisten und Filmemacher Mads Brügger wäre ein verhunzter Witz das Geringste, worum er sich sorgen müßte, wenn seine Tarnung aufflöge: Für eine gute Pointe setzt er nicht nur einige Lacher aufs Spiel, sondern – man verzeihe mir das Pathos – gar sein Leben.

Man beschriebe Brügger wohl am besten als einen von Wallraff inspirierten Borat, dessen Werke, trotz des Verzichts auf derben Fäkalhumor, nicht minder offensiv daherkommen und neben dem Sacha Baron Cohen geradezu als Philantrop erscheint. 2010 bekam Brüggers Erstling »The Red Chapel« den »Preis der Großen Jury« auf dem Sundance Film Festival. Hier reist Brügger zusammen mit zwei koreanischstämmigen Dänen ins Nordkorea Kim Jong-Ils, um eine völkerverständigende Comedy-Show zu inszenieren. Die klassischen dänischen Sketche, die größtenteils auf wildem Rumgefurze basieren, lassen die Gesichtszüge der so mimiklahmen Nordkoreaner selbstredend entgleisen.

Noch schöner: Einer der Schauspieler ist Spastiker. Und das ist der eigentliche Coup des Films, denn im Umgang mit diesem Behinderten, der in diesem Staat sonst wegeuthanisiert oder zum Verhungern auf eine Insel geschifft würde, offenbart sich das krude Wesen dieser Diktatur. Ein Vorschlag des regimetreuen künstlerischen Leiters: Der Spastiker solle bitte so spielen, als imitiere er bloß einen Spastiker. Eine Antwort darauf, warum die Führung das ganze Theater überhaupt mitmacht, gibt Brügger so lakonisch wie plausibel: »Sie erkennen gute Propaganda, wenn sie sie sehen.«

In seinem jüngsten Film »The Ambassador«, der es letztes Jahr übrigens erfolgreich nicht ins deutsche Kino geschafft hat, erschleicht sich Brügger den Titel des liberianischen Honorarkonsuls der Zentralafrikanischen Republik. Mit reichlich Schmiergeld (»Envelopes of happiness«) in den Taschen seiner neokolonialen Uniform und falschen Versprechungen für ahnungslose Arbeiter (der Bau einer Streichholzfabrik), versucht er sich an echten Blutdiamanten zu bereichern: ein durchaus übliches Vorgehen, wie man in heimlich mitgefilmten Gesprächen mit seinen internationalen und nicht minder zwielichtigen »Kollegen« erfährt.

Zwar erscheint die dokumentarische Wirklichkeit in »The Ambassador« nicht mehr so klar, dennoch ist er nicht minder gewagt oder spektakulär als »The Red Chapel«. Eindrucksvoller Beweis: Der staatliche Sicherheitschef, mit dem sich Brügger zuvor noch unterhält, überlebt das Ende der Dreharbeiten nicht. Er wird nämlich liquidiert.

Mads Brügger ist ohne Frage ein Geisteskranker, seine Filme sind zynisch, Kritiker nennen sein Vorgehen unmoralisch und geschmacklos. Meinetwegen; doch ist es stets erheiternd und auch aus investigativer Sicht wertvoll. Zum Glück kennt Mads Brügger bislang kaum jemand, so darf man sich vorerst auf weitere kontrovers-subversive und überaus komische Produktionen des Dänen freuen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
08.05.2024 Wiesbaden, Schlachthof Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
09.05.2024 Zürich, Friedhof Forum Thomas Gsella
09.05.2024 München, Volkstheater Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
10.05.2024 Weil am Rhein, Kulturzentrum Kesselhaus Thomas Gsella