Humorkritik | Oktober 2012

Oktober 2012

Der Profi

Soviel ich weiß, war er der erste Komik-Massenfabrikant im deutschlachenden Raum: Johann Nestroy, geboren 1801 in Wien, 1862 begraben ebenda.

Mit einundzwanzig Jahren debütiert Nestroy als Sänger, kurz darauf als Schauspieler. 1827 schreibt er sich die erste Rolle selbst auf den Leib, den »Zettelträger Papp«, 1862 seine letzte, den »Häuptling Abendwind«. Dazwischen liegen knapp siebzig Theaterstücke, meist »Possen mit Gesang«, oft Bearbeitungen oder Parodien, von denen manche, wie »Einen Jux will er sich machen«, in den Kanon eingegangen sind.

Unter dem Titel »Der Störenfried« hat Renate Wagner das »Theaterleben« Johann Nestroys eher protokolliert als nacherzählt. Und gerade in dieser dürren Auflistung, die sich – von biographischen Exkursen immer nur kurz unterbrochen – stramm an die unablässige Abfolge von Premieren hält, imponiert mir Nestroys gotische Gesinnung, die zu dieser ungeheuren Lebensleistung führte, um so mehr, und sein Genie als Autor leuchtet überhell. Was er an komischen Dialogtechniken entwickelt hat, ist z.T. immer noch in Gebrauch – bei den knappen Verfallsdaten vieler komischer Effekte sehr erstaunlich.

Nestroy schreibt schnell. Parodien waren stets nur wenige Wochen nach den Originalen fertig, jedoch immer paßgenau auf die Möglichkeiten des Theaters und die Fähigkeiten seiner Kollegen zugeschnitten. Mühe hat ihm das Schreiben erst im letzten Lebensjahrzehnt gemacht, als andere Pflichten (er hatte ein Theater zu leiten) und sein Liebesleben (es war kompliziert) die Produktivität zeitweise drosselten.

Wie der Schauspieler Nestroy, der am liebsten jeden Abend auf der Bühne gestanden hätte, sein Publikum fasziniert hat, läßt sich nicht rekonstruieren, Kritiken waren kaum weniger qualifiziert als heute, und zurechnungsfähige Zeitzeugen haben sich selten geäußert. Ich stelle ihn mir gern als eine explosive Mischung aus Qualtinger und Valentin vor. An guten Tagen und in starken Rollen muß seine Wirkung enorm gewesen sein. Ungefähr achthundert Partien soll Nestroy am Ende im Kopf gehabt haben. Gepriesen sei sein Name!

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
09.05.2024 Zürich, Friedhof Forum Thomas Gsella
09.05.2024 München, Volkstheater Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
10.05.2024 Weil am Rhein, Kulturzentrum Kesselhaus Thomas Gsella
11.05.2024 Karlsruhe, Kabarett in der Orgelfabrik Thomas Gsella