Humorkritik | November 2012

November 2012

Suhler Würzfleisch

Das Charmante an Carsten Fiebelers Kinokomödie »Sushi in Suhl« ist, daß sie auf einer wahren Geschichte beruht: Den DDR-Koch Rolf Anschütz, der 1966ff. in einer Thüringer Gaststätte als Autodidakt das renommierteste japanische Restaurant Europas installierte, gab es wirklich. Was als Experiment begann, nahm Fahrt auf, als die Regionalpresse berichtete und bald der erste Japaner im Suhler »Waffenschmied« saß, um wie bei Mama in Mamedamachi zu essen – und anschließend alles, was in der DDR einen japanischen Paß hatte, begeistert nach Suhl lotste. Die Einheimischen, mit Exotischem nicht eben verwöhnt, folgten neugierig, Anschütz ließ japanische Kochbücher übersetzen und, staatlich genehmigt, Wasabi und Sojasoße von einem Düsseldorfer Feinkosthändler importieren; und wurde, unglaublich genug, zum stillen Star der japanischen Küche, bei 700 Ostmark HO-Gastwirtsgehalt, einem auf Jahre ausverkauften Haus und einem Orden vom Tenno für das beste japanische Restaurant außerhalb Japans.

Der Film, »frei nach einer wahren Geschichte«, krankt indes daran, daß er sich die Freiheit, dieser sagenhaften Geschichte beizukommen, gar nicht nimmt, sondern sie bloß nacherzählt. Die Konflikte: das Mißtrauen des Staates, das Scheitern von Anschütz’ Ehe an seiner wachsenden Japanmanie und die Isolation desjenigen, der sich einer Sache mit Haut und Haaren verschrieben hat, hakt Fiebeler, der sich voll auf den komischen Effekt des Kulturclashs DDR – Japan (bzw. Würzfleisch – Kimono) verläßt, eher ab, als daß er sie beschreibt. Er braucht sie nicht für das Märchen, das er erzählen will und dem der stille Uwe Steimle als Anschütz auch gut zu Gesicht steht.

So dankbar ich war, daß mir die gefällige DDR-Häme erspart blieb, so ratlos saß ich vor den milde karikierten Funktionären, die die Freundlichkeit des Films so gar nicht stören wollten; so daß als Klimax ein Anschütz blieb, der, auf Einladung der japanischen Regierung, in Tokio durch den Hochkapitalismus taumelt, die Ausbürgerung fürchtet und gerechtes Heimweh kriegt; aber freilich wieder nach Hause darf. Weil es da am schönsten ist.

Was seine Versöhnlichkeit angeht, muß »Sushi in Suhl« sich vor dem ähnlich unbeschwerten Großerfolg »Ziemlich beste Freunde« nicht verstecken. Während letzterer aber eine Pointe hat, die die wahre Geschichte mit den Bedürfnissen des Genres locker zur Deckung bringt, hört »Sushi in Suhl« einfach auf, bevor sich der echte Anschütz mit der staatlichen Gastroverwaltung überwirft und nach der Wende mit einem Neustart pleitegeht. So bleibt es bei einem heiteren Bilderbogen, den nur die Nostalgie zusammenhält. Daß aber, wenn man aus einer Tragikomödie die Tragik entfernt, doch immerhin Komödie übrig bleibe – das stimmt sowenig, wie Sushi bloß Reis mit Fisch ist.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella