Humorkritik | März 2012
März 2012
Umgang mit Kempowski
Unverzichtbar für Kempowski-Aficionados ist der Sammelband seiner Glossen über große und kleine Schriftstellerkollegen (»Umgang mit Größen«, Knaus Verlag). Darin geht es erfreulich subjektiv und unausgewogen zu. Goethe muß sich mit zwei Seiten bescheiden, während Edgar Wallace zweieinhalb erhält, und über Thomas Mann ist zu erfahren, daß er »der Mann ohne Hinterkopf oder der Mann mit der Warze« gewesen sei. »Warum hat er sie nicht wegmachen lassen?« Ja, warum eigentlich nicht? Überraschend milde ist Kempowskis Urteil über seinen Erzfeind Günter Grass ausgefallen: »Ich habe irgendwo mal was Böses über ihn gesagt, das tut mir von Herzen leid.« Völlig glaubwürdig wirkt das nicht, denn über diesen bräsigen Schriftstellerdarsteller hat Kempowski nicht »irgendwo mal«, sondern in zahllosen Tagebuchnotizen und Interviews seinen Spott ausgegossen. Ungnädig verfährt er mit den Werken von Max Frisch (»öde und voller Schnitzer«), der mediokre Salonstalinist Lion Feuchtwanger schneidet noch schlechter ab (»dieser Kaviar essende Lebensschlaumeier«), und Johannes Mario Simmel »trumpfte«, wie Kempowski spitz vermerkt, »in Talkshows als Kriegsgegner gegen andere Kriegsgegner auf«.
Weniger ertragreich sind die Einlassungen zu zeitlich und geistig entrückten Klassikern; ihnen gelten nur selten mehr als ein paar belanglose, konversationslexikalisches Halbwissen ausstellende Worte wie die über Laurence Sterne: »Während eines Parisaufenthalts suchte der berühmte Diderot seine Nähe.« Hätten Sie’s gewußt? Am stärksten zeigt Kempowski sich in kapriolenhaften Abschweifungen. Es sei ihm unverständlich, schreibt er, daß die Sittenwächter »Lolita« stärker bekämpft hätten als »Pippi Langstrumpf«, denn: »Immerhin ist die ja auch ziemlich jung und zeigt eine Menge Schlüpfer.« Und über Adalbert Stifter heißt es: »Mit einem bestickten Mützchen auf dem Kopf ging Stifter vor seinem Haus auf und ab, zu selten für seine Hunde, die wegen Bewegungsmangels allesamt verreckten.«
So hab ich’s gern. Zu korrigieren wäre allerdings eine von Kempowski vermutlich dem mißverstandenen Hörensagen nach in die Welt getragene Behauptung über das Werk »Der Fänger im Roggen« von Jerome D. Salinger: »John Lennon hielt es in der Hand, als er in New York auf offener Straße erschossen wurde.« Richtig ist, daß Lennons Mörder es an den Tatort mitgebracht hatte und nach der Tat darin las. Soviel Ordnung muß sein.