Humorkritik | November 2011

November 2011

Spiegelmans 9/11

Noch verheerendere Folgen als für die Weltsicherheit hatten die Anschläge vom 11. September 2001 für den Papiermarkt. Neben Patriotismus, Kitsch und Kriegsgeheul wurden vor allem große Verschwörungstheorien gedruckt, etwa des Inhalts, daß George W. Bush persönlich die Flugzeuge in die Gebäude fernsteuerte, um diese danach per Knopfdruck zu sprengen. All diesen Büchern gemeinsam ist, daß  man ihnen eine möglichst schnelle Rückkehr in den Rohstoffkreislauf wünscht.

Dagegen hebt sich der Comicband »Im Schatten keiner Türme« von Art Spiegelman ab, der bereits 2004 erschien und seit dem zehnten Jahrestag der Anschläge nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt. Die Rezensenten würdigten das Werk wohlwollend, doch kaum jemand erwähnte, daß Spiegelman, der die Ereignisse als Anwohner in Manhattan erlebte, sie in durchaus komischer Form verarbeitet.

Das Buch besteht aus großformatigen, collagenartigen Tableaus, die in ihrer chaotischen Anordnung treffend die Konfusion darstellen, die das Ereignis nicht nur für den Autor bedeutete. Während Spiegelman und seine Frau, vertreten durch die beiden »niedlichen Tower Twins« – zwei Comicfiguren mit brennenden Türmen auf den Köpfen – durch die Stadt rennen, um ihre Tochter aus einer nur wenige Blocks von der Katastrophe entfernten Schule abzuholen, ergeben sich groteske Szenen: »Er konnte nur den Rauch sehen, der sich hinter einer gigantischen Werbetafel auftürmte. Sie warb für irgendeinen bescheuerten neuen Schwarzenegger-Film über Terrorismus. Seltsamerweise behaupteten nach dem 11. September manche Experten, daß die Zeit der Ironie nun vorbei sei.«

In variierenden Zeichenstilen zeigt Spiegelman sich während der Ereignisse auf der Straße, resp. in den Monaten und Jahren danach an seinem Schreibtisch: »Ich hänge über meinem Zeichentisch in meinem Studio in Lower Manhattan und drücke die Daumen… es ist schwer, einen Stift so zu halten… aber ich käme mir wie ein Trottel vor, wenn ein neues Desaster über uns hereinbricht, während ich noch am alten herumdoktere.«

Auch die Maus aus Spiegelmans gleichnamigem Comic, in dem er einst die Geschichte seines Vaters, eines Holocaustüberlebenden, erzählte, taucht als Motiv in »Im Schatten keiner Türme« wieder auf. Der Mann mit dem Mauskopf ist abermals der Autor selbst, der, im Bann der Apokalypse aus Trümmern und vergifteter Luft in seiner Nachbarschaft, mit weit aufgerissenen Augen und unablässig rauchend ausruft: »Ich weiß noch nicht mal, ob ich lange genug leben werde, um von Zigaretten umgebracht zu werden.«  Diesen schönen und ungemein schicken Band bitte schnell kaufen – bevor ein neues Desaster über uns hereinbricht.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Die Bunte zitiert Sie mit der Aussage: »Um zu überleben, muss man gesund sein, und wenn man am gesündesten ist, sieht man einfach auch am jüngsten aus!« Gut, dass Sie diese Erkenntnis an uns weitergeben!

Geht jetzt zur Sicherheit bei jeder neuen Falte, Cellulitedelle und grauen Strähne zum Arzt:

Ihre greise Redaktion der Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
23.05.2024 Bielefeld, Theaterlabor Max Goldt
24.05.2024 Dresden, Buchladen Tante Leuk Thomas Gsella
30.05.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst »POLO«
30.05.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst Hans Traxler: »Die Dünen der Dänen«