Humorkritik | November 2011

November 2011

Huldigung für einen Haken

Die Abschaffung der Wehrpflicht könnte evtl. auch einen Nachteil mit sich bringen: Es wäre nämlich durchaus bedauerlich, wenn Joseph Hellers Roman »Catch 22« in einer hoffentlich ziviler werdenden Gesellschaft an Relevanz verlöre. Das Buch gehört zu den großen, wichtigen Romanen der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts, es erschien vor genau fünfzig Jahren.

Catch 22, angeblich eine militärische Verfahrensregel, bezeichnet eine typische No-Win-Situation. Bomberpilot Yossarián, der Held des Buches, erfährt von dieser Regel, als er sich vor weiteren Einsätzen drücken will: Laut Catch 22 muß niemand fliegen, der seinen Verstand verloren hat. Wer sich allerdings für verrückt erklärt, muß fliegen – hat er doch durch seine höchst rationale Furcht vor Fronteinsätzen bewiesen, daß er sehr wohl zurechnungsfähig ist. Die Perfidie dieses paradoxen Hakens wird im Roman immer weiter getrieben, bis sich schließlich herausstellt, daß es sogar verboten ist, die Vorschriften von Catch 22 zu lesen. Allerdings ist diese Restriktion nur an einem einzigen Ort definiert: im Text von Catch 22. Yossarián desertiert zu guter Letzt  ins neutrale Schweden. Den Vorwurf – »Was, wenn alle dächten wie Sie?« – kontert er mit: »Dann wäre ich schön blöd, wenn ich als einziger nicht so dächte.«

»Catch 22« ist der beste mir bekannte Antikriegsroman, vielleicht deswegen, weil er mit den üblichen Werken des Genres wenig gemeinsam hat. Es fehlen die grundanständigen, aber mißbrauchten Landser ebenso wie die notorisch unfähige Generalität, auf die – wenn man Offizier ist – alle Schuld abgeladen werden kann. Joseph Heller, der den zweiten Weltkrieg bei der Air Force in Italien verbrachte, fand seinen Wehrdienst nicht schlimmer als allgemein üblich, außerdem hatten die USA den Vorteil, damals auf der richtigen Seite zu stehen. Heller arbeitet in seinem Roman die Absurdität des gesamten Systems heraus, die einen von Paraden besessenen Leutnant zum General macht, einen analphabetischen Indianer zum Nachrichtenoffizier und einen geldgierigen Kantinenwirt zum Chef eines im Schatten der Armee weltweit agierenden Handelskonzerns.

»Catch 22« war nicht auf Anhieb ein Erfolg. In den Vereinigten Staaten schafften es erst die Taschenbuchausgaben auf die Bestsellerlisten. Die Verfilmung mit Orson Welles und Art Garfunkel von 1970 stand lange Zeit im Schatten von Robert Altmans im selben Jahr erschienenen  »M.A.S.H.«. Doch hatte das Werk, dessen hierzulande noch immer erhältliche Übersetzung von Irene und Günther Danehl hervorragend ist, von Anfang an prominente Fürsprecher: Schriftstellerkollegen wie Norman Mailer oder Anthony Burgess, Filmleute wie Mel Brooks (der mit Joseph Heller eng befreundet war) bis hin zum Simpsons-Erfinder Matt Groening, der »Catch 22« zu den maßgeblichen Einflüssen bei der Konzeption seiner Serie zählt.

Mit Recht. Denn so genau der militärische Muff geschildert wird – »Catch 22« läßt sich auch als Allegorie auf die durchmilitarisierte  Gesellschaft lesen. Und genau das sollte man tun. Immer wieder.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg