Humorkritik | November 2010

November 2010

Das Buch zur Erde

Daß Jon Stewarts »Daily Show« mittlerweile nicht nur in den USA als Maßstab für satirisches Schaffen gilt, erkennt man u.a. daran, daß mit der »Heute Show« hierzulande ein engagierter Ableger immer erfolgreicher wird. Dem Original ist das Selbstbewußtsein  anzumerken: Man traut sich einiges zu, z.B. große Menschenmengen in einer »Rally to Restore Sanity« als Antwort auf eine Massenveranstaltung des rechtsradikalen Fox-Agitators und inoffiziellen Tea-Party-Anführers Glenn Beck nach Washington zu locken und ein paar Stunden gemeinsam mit den Mitstreitern vom »Colbert Report« und dessen (rollengerecht konkurrierenden) »March to Keep Fear Alive« ernsthaft zu bespaßen.

 

Und weil die Show und solche Aktionen die Autoren nicht auszulasten scheinen, haben sie nun ihr zweites Printwerk herausgegeben: den Nachfolger zu »America (The Book). A Citizen’s Guide to Democracy Inaction« (TITANIC 02/2005). Er heißt »Earth (The Book). A Visitor’s Guide to the Human Race« (Particular Books), und ist abermals eine Lehrbuchparodie, deren Aufmachung mit jener der »Was ist Was«-Reihe vergleichbar ist. »Earth« nimmt gleich in doppelter Hinsicht Distanz: Indem das Buch den baldigen Untergang der Menschheit als gegeben nimmt und somit kurz vor Schluß noch mal Bilanz zieht und indem es für die Außerirdischen geschrieben ist, die sich in Zukunft über den Planeten und seine verschwundenen Hauptbewohner informieren wollen.

 

Diese vorgreifende Nostalgie erlaubt einige launige Betrachtungen – von Plätzen, die man meiden sollte (»Tschernobyl. Ein nuklearer Unfall machte dieses einstige Drecksloch zum schlimmsten Drecksloch aller Zeiten«) über die menschlichen Rassen (»asiatisch, negroid, normal, australisch«), Umgangsformen (»In Fällen divergierender Kulturen war es üblich, den Umgangsformen der Kultur mit mehr Öl zu folgen«), heilige Bücher (»Der Koran. Hauptthemen: Heiligkeit des Korans, Korrektheit des Korans, Unfehlbarkeit des Korans, die Schönheit der Typographie des Korans etc.«) bis zum Film (»Romantische Komödien bewiesen, daß sogar jemand, der so häßlich ist wie Richard Gere, eine billige Hure wie Julia Roberts dazu bringen kann, sich in ihn zu verlieben«).

 

Das alles ist solide bis gut geschrieben, ansprechend bebildert und lädt zum Blättern ein. Doch erzeugt es nicht die Befriedigung des »America«-Buchs. Der Ansatz gestattet zwar, keinem Thema ausweichen zu müssen, doch erzwingt er auch einen fast klassisch aufklärungssatirischen Duktus, der häufig nicht weit weg von ernsthafter Belehrung ist. Zu Konzentrationslagern kann das Buch nicht viel mehr vortragen als die Bitte, daß die Außerirdischen uns an unseren etwas weniger schrecklichen Verbrechen messen sollen. Kann es sein, daß die Autoren ihre Leserschaft so geringschätzen, daß sie nur ein witziges Schulbuch verfassen wollten?

 

Oder bezeugt diese auf Dauer anödende augenzwinkernde Kopfschüttelei eine gewisse Amtsmüdigkeit? Moralisierende Satire, die der unmoralischen Menschheit sanft hinterherwinkt, erzeugt letztlich Trostlosigkeit und Melancholie. Es ist kein Wunder, daß die besten Witze des Buchs auf Zeiten rekurrieren, die restriktiver waren – wie das schlecht geplante Poster aus dem Jahr 1978: »Farah Fawcett sagt: Masturbiere nicht!« Die »Daily Show« ist dann am besten, wenn sie, wie einst mit dem Amerika Bushs, einen klaren Gegner hat. »Earth (The Book)« hinterläßt den Eindruck, daß die Präsidentschaft Obamas, für den die »Daily Show« einst offen warb, die Autoren desillusioniert oder zumindest ermüdet hat. Neue Maßstäbe setzt das Buch jedenfalls nicht.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
07.05.2024 Köln, Stadthalle Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
07.05.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Kathrin Hartmann