Humorkritik | Dezember 2009

Dezember 2009

Muff aus Prenzelberg

Spätestens durch seinen »Faust«-Comic in der FAZ dürfte ein größeres Publikum mit ihm Bekanntschaft gemacht haben: mit Flix alias Felix Görmann, dem Zeichner, Cartoonisten, Wahlberliner und Götterliebling. Der sich als solcher allmählich zu einem echten Ärgernis entwickelt.

 

Flix führt online ein gezeichnetes Tagebuch, welches in Auszügen auch gedruckt vorliegt (»Der Swimmingpool des kleinen Mannes«, Carlsen), und ist dort laut Selbstauskunft »auf der Suche nach dem Augenblick, zu dem man sagt: ›Verweile doch, du bist so schön‹«. Dieses Tagebuch steht symptomatisch für vieles, was einem an Flix nicht gefallen kann: Da sagen Menschen »grübelpobübel«, »klick«, »an-den-kunden-send«; Görmann gratuliert sich selbst, daß er in Bild auf der »In-Liste« war; und noch der popeligste Urlaub wird zum Anlaß von krausen Sentenzen: »Wenn man auf der Suche nach dem Gegenteil vom Prenzlauer Berg wäre, hätte man es hier gefunden«. Sein Comic »Mädchen« ist frauenfilmreifer Kitsch, getragen von Erkenntnissen wie »So ist das in Berlin: man trifft jemanden, und alles ist anders«; und in seiner aktuellen Cartoonsammlung »Verliebt« (Carlsen 2009) findet sich nichts, was die Genregrenzen irgend sprengte, sondern vor allem Witze des Niveaus, daß ein Strohwitwer das Staubsaugen mit einem Rasenmäher erledigt, oder daß der Henker am Scheiterhaufen sein Opfer nach Feuer fragt. Sie haben richtig gelesen: Dieses Buch ist 2009 erschienen, nicht im Siebenjährigen Krieg.

 

Man könnte ihm freilich seinen merkantilen Strich nachsehen, eben diesen beliebigen, breiigen, kalten Geschenkbuchstrich; man könnte gnädig übersehen, daß Flix’ Figuren immer gleich jugendlich-hip und charmant-verschmitzt aussehen, daß es nichts Böses oder Ekliges bei ihm zu sehen gibt, keine Krankheit, keinen Wahnsinn und auch kaum Sexualität, und daß das Politische nur in Tüddelchen vorkommt (»ich war der festen Überzeugung, daß die DDR ausschließlich aus gebrechlichen Senioren bestand«). Man könnte.

 

Aber Flix strebt halt nach Höherem, klebt im »Swimmingpool«-Band an eine Bilderfolge großmäulig »T: Kurt Tucholsky«, nennt sich auf seiner Homepage des Faust-Comics wegen »Goethes fleißigen Enkel«. Da will einer auf Biegen und Brechen an Feuilleton und Hochkultur andocken. Und da es für dieses unermüdliche Geflixe schon jetzt Preise regnet wie nicht ganz gescheit (Max-und-Moritz-Preis, Swiss Cartoon Award, Stuttgart Cartoon Award u.v.m.) und auch die Presse mit Lob nicht spart (nur der Tagesspiegel wagt, das Adjektiv »gefällig« in eine Rezension zu schmuggeln), muß ein altgedienter Diskurspolizist wie ich natürlich ein bißchen genauer auf Flixens neueste Produktionen sehen.

 

So zum Beispiel auf »Da war mal was« (Carlsen), eine Reihe von Kindheitserzählungen mit DDR-Bezug, pünktlich zum Jahrestag des Mauerfalls erschienen. Flix hat sich von Freunden und Bekannten Ost-Anekdoten berichten lassen, und sie alle eint, daß sie höchstens eine schwammige, eher gar keine Ahnung von der DDR haben, sich dessen aber überhaupt nicht schämen. So erzählt einer, »ihm und seinen Eltern« sei »in der DDR konkret nichts passiert, trotzdem würde ich nicht sagen, daß wir unbeschadet davongekommen sind«, weil er, obacht, bei den Pionieren nichts über seine Westcomics erzählen durfte. Doch das Bestreben, uralte Zonenanekdoten (ein Papagei muß weggegeben werden, weil er die West-»Tagesschau« nachsprechen kann) graphisch aufgebrezelt neu an den Mann zu bringen, ist fragwürdig genug – ebenso fragwürdig wie seine konservative Nacherzählung des Fauststoffs in der FAZ, welche, abgesehen von gelinden inhaltlichen Modernisierungen (Gott hat das Universum als Myspace-Seite, und Faust versucht bei einer jungen Türkin zu reüssieren) keine innere Legitimation und wohl eher den massenhaften Absatz in den Klassenzimmern im Auge hat.

 

Was will Flix? Wohl nichts weniger als die Weltherrschaft. Anzunehmen ist, daß sich Flix, dieser Jan Weiler der Zeichnerei, demnächst auch der Tibet-Frage, des Kopftuchstreits und des Holocausts annehmen wird: reinszeniert mit den verschmitzt-charmanten Figuren, die man von ihm kennt, und vielen treffenden Momentaufnahmen aus der großen schönen Stadt namens Prenzelberg.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

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Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
23.05.2024 Bielefeld, Theaterlabor Max Goldt
24.05.2024 Dresden, Buchladen Tante Leuk Thomas Gsella
30.05.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst »POLO«
30.05.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst Hans Traxler: »Die Dünen der Dänen«