Humorkritik | Dezember 2009

Dezember 2009

Orang-Utan Ludwig Tieck

Daß vom Groß- und Hauptromantiker Ludwig Tieck bis heute keine Gesamtausgabe existiert, beklagt schon ein Arno-Schmidt-Nachtprogramm von 1959 – keine fünfzig Jahre später ist sie im Deutschen Klassiker Verlag immer noch anhängig. Was die dramatischen Anstrengungen angeht, sollten sich die Herausgeber aber vielleicht mal ein bißchen ranhalten. Über die bringt Heinrich Heines »Romantische Schule« seit 1836 in Umlauf, »Herr Tieck« habe, »obgleich das Theater sein Steckenpferd ist und er von Kind auf bis heute sich mit dem Komödiantentum, und mit den kleinsten Details desselben, beschäftigt habe, so gut wie nie etwas von sich auf einer Bühne aufgeführt gesehen. Und sich darum immer ein Hauspublikum halten müssen, dem er selber seine Stücke vordeklamierte und auf deren Händeklatschen ganz sicher zu rechnen war.«

 

Außerdem habe der »Don Quichotte«-Übersetzer und Beteiligte bei der maßgeblichen deutschen Shakespeare-Übersetzung für seine eigenen Märchenspiele »die meisten seiner Masken sowieso nur den buntscheckig bizarren venezianisch phantastischen Märchenkomödien Carlo Gozzis entlehnt«. Mithin also nur Lustspiele fabriziert, »deren komische Wirkung nicht durch einen launigen Charakter oder eine spaßhafte Intrige herbeigeführt wird, sondern die uns gleich unmittelbar in eine komische Welt versetzen, in eine Welt, wo die Tiere wie Menschen sprechen und handeln, und wo Zufall und Willkür an die Stelle der natürlichen Ordnung der Dinge getreten ist«.

 

Was Heine ja noch minder komisch dünken mochte, gestiftet hat dies ehrwürdige Verfahren in den über 170 Jahren seither aber zahllose Sparten von Kunst und Hochkomik – mal ganz abgesehen davon, daß er den Erfolg zumindest des »Gestiefelten Katers« zugunsten seiner schnittigen Tieck-Abfertigung als Privatunterhalter und »Astrallampe der Teegesellschaften« schlicht unterschlug.

 

Ob Tiecks Bühnendichtung zu Recht vergessen ist oder eventuell doch erneuerbare Energien enthält, scheint mir ungewiß – seit ich auf einen mich doch sehr neugierig machenden Augenzeugenbericht seiner Ein-Mann-Aufführungen stieß. Nachzulesen ist sie in der Autobiographie des – von Heine in der »Romantischen Schule« ebenfalls getatzelten – deutsch-norwegischen Schriftstellers, Naturkundlers und Philosophen Henrich Steffens, einem Herrn aus Tiecks Umkreis; er schildert einen Geburtstag von Tiecks Frau:

 

»Tieck war besonders heiter gestimmt und wollte zur Feier des Tages ein Schauspiel, und zwar allein alle Rollen darstellen. Aber dieses sollte erst erfunden werden. Er forderte mich auf, ein Thema zu geben, und ich schlug vor, ein Stück zu erfinden und darzustellen, in welchem der Liebhaber und ein Orang-Utan die nämliche Person wären. Ich konnte freilich bei der damaligen Richtung seiner Laune keine günstigere Wahl treffen. Tieck entfernte sich etwa eine halbe Stunde. Die Zuschauer – die Familie und wenige Freunde – nahmen sitzend die eine Hälfte der Stube ein, die andere stellte die Bühne vor. Es ist mir nicht vergönnt, den Witz wiederzugeben, der mit der Leichtigkeit des Augenblicks hervortrat und die ganze Darstellung durchdrang. Unsre Lustspieldichter könnten sich glücklich schätzen, wenn es ihnen gegeben wäre, in einem ganzen Lustspiele einen solchen Reichtum des Witzes zu entfalten, wie sich hier in einem jeden Auftritt entwickelte. Man kann sich denken, wie das Stück endigt, die Tochter sträubte sich, gab endlich nach, und der Liebhaber verwandelte sich in der Tat, nachdem die Ehe geschlossen war, aber auf eine Weise, die dem Vater nicht angenehm war. Er gab indessen nach, konnte aber die frühere Vorstellung nicht so bald loswerden und nannte unwillkürlich seinen aufgedrungenen Schwiegersohn noch immer Herr Orang-Utan. Ich hatte nie etwas Ähnliches gesehen. Alle Personen standen lebhaft vor uns. Der Fluß des Gesprächs ward nie unterbrochen; mit der Schnelligkeit der Gedanken waren die Personen verwandelt und vervielfältigt. Es war keinem Zweifel unterworfen, daß Tieck damals, in seiner Jugend, der größte Schauspieler seiner Zeit war.«

 

Von dieser Improvisation dürfte es leider keinerlei Aufzeichnungen geben; um so inständiger darum meine appellierende Frage an Frankfurts Deutsche-Klassik-Verwaltung: Forscht und schlagt nach! Gibt’s da noch mehr?

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg