Humorkritik | Dezember 2009

Dezember 2009

Schmalspurliteratur, deutsche

Das war ein Deutscher Bücherherbst. Erinnert sich noch jemand an den Deutschen Buchpreis? Ja, ich erinnere mich, wenn auch ungern. Und eigentlich geht er mich ja nichts an, denn in mein Gebiet fiel keiner der sechs nominierten Romane.

 

Alle Betroffenen waren zufrieden. Hochzufrieden natürlich Katrin Schmidt, die grundsympathische Preisträgerin, die sich von den 25 000 Euro eine gewisse »finanzielle Unabhängigkeit« erhoffte. Noch zufriedener die siebenköpfige Jury, deren Sprecher, Hubert Winkels, sich schon nach der »Shortlist-Diskussion« wie »alle Beteiligten« schwer »beeindruckt« zeigte »von der Intensität der Gespräche, die oft ans Grundsätzliche rührten – der Literatur, der eigenen Arbeit –, die die ganze Verstrickung des Lesers mit einzelnen Büchern offenbarten und eben deshalb manchmal auch schmerzhaft waren.« Das Ergebnis des taglangen Hauens und Sprechens »in einer kommunikativen Ausnahmesituation«, so Winkels, diente ihm als Beleg, »daß nicht nur thematisch, sondern auch formal die deutschsprachige Literatur über eine bestechende Bandbreite verfügt«.

 

Mal abgesehen davon, daß mit dem Sprachgefühl eines Kritikers, der einer Bandbreite zutraut, daß sie spitz genug zuläuft, um bestechend zu wirken, nicht alles in Ordnung sein kann, ist diese Behauptung mehr als kühn. Bereits die sechs Titel der Kandidaten fügen sich fast nahtlos zu einem: DU STIRBST NICHT – Grenzgang, Lichtjahre entfernt auf der Atemschaukel überm Rauschen der Frequenzen. Augenfälliger noch wird die Gleichartigkeit der ausgewählten Romane, wenn man aus den sechs Inhaltsangaben der Jury das Wesentliche kompiliert und bunt gemischt zitiert:

 

Helene Wesendahl erwacht im Krankenhaus: ohne Kontrolle über ihren Körper, sprachlos, mit Erinnerungslücken. Der jüngere Bruder ist zurückgekehrt an den Ort der Kindheit, um der Familie zu helfen, und läßt das Leben des Bruders, sein eigenes, das der Familie Revue passieren: Rumänien am Ende des Krieges. Die deutsche Bevölkerung lebt in Angst. In der eisigen Nacht des 15. Januar 1945 wird ein junger Mann in ein russisches Sammellager verschleppt. Aber der Vater ist tot. Und der ältere Bruder Hermann ist dabei, den Verstand zu verlieren. Dies ist aber auch die Geschichte von Valerie, die im Park brutal zusammengeschlagen wird, und von Gabi, die sich in Walter verliebt und die psychische Probleme und ein Tinnitus in den Wahnsinn treiben. Doch die Beziehung ist am Ende. Der Familientherapeut Thomas Kaszinski wird vor eine scheinbar unlösbare Aufgabe gestellt: Schnell wird klar, wie leicht vermeintliche Sicherheiten abhandenkommen können und wie dünn das Eis ist, auf dem Lebensentwürfe errichtet werden.

 

Ebenso schnell dürfte aus dieser Collage klar werden, wie schmal die Spur ist, die diese Jury verfolgt hat. »Eine Jury, die« – laut Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins und Vorsitzender der Akademie Deutscher Buchpreis, »für große literarische Kompetenz steht«. Man fragt sich, warum sie keinen Gebrauch davon gemacht hat und sich stattdessen, von der möglicherweise vorhandenen Bandbreite der deutschsprachigen Literatur unbeeindruckt, beschränkt hat auf die vermeintliche Sicherheit, die Autoren bieten, die dahin schreiben, wo’s weh tut. Unter Schmerzen hat sie ihren Preis vergeben für Romane, die ebenfalls zu Schmerzen aufgelegt werden. Immer unter dem Motto: Hauptsache, es bleibt in der Familie. Zufrieden darf ich feststellen, daß es nicht die meine ist.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg