Humorkritik | September 2007

September 2007

Sorel, die Supersau

Wenn man in Büchern gern »pikante Stellen« (John Cleese) anstreicht, so gibt es deren einige, bei denen man den Stift (hm!) gar nicht mehr aus der Hand zu legen braucht: Schund zweiter Ordnung, die hochkulturellen Ferkeleien. Ein historisches Frühwerk jener vorzüglich versauten Gattung, die »Geschichte des Francion« aus der Feder des großen Charles Sorel, ist heute zwar nur noch Experten bekannt; wie es das Buch aber geschafft hat, als »Sittenroman« in die Literaturgeschichte einzugehen, bleibt das Geheimnis eben jener Fachleute – Unsittlicheres ist aus dieser Zeit schlechterdings nicht überliefert.

 

Während sich der französische Hof an den antiken Telenovelas des Erzlangweilers Racine erfreut, erscheint 1623, in demselben Jahr, in welchem der Satiriker de Viau wegen Blasphemie zum Tode verurteilt wird, ein Roman, der damit einsetzt, daß mitten in stürmischer Nacht ein alternder Adliger eine Zauberformel zur Behandlung seiner Impotenz ausprobiert, welche ihm der Hochstapler Francion verkauft hat. Und während der Alte sein »kümmerliches Glied« mit allerlei Zaubermittelchen besprengt, verkehrt dessen Frau zur selben Zeit mit gleich drei Liebhabern, welche jeweils unter den abenteuerlichsten Umständen in die Burg geschafft werden.

 

Die zahllosen, nur lose verbundenen Episoden des Romans sind unmöglich zu resümieren. Sämtliche Einrichtungen des Staates, das Erziehungswesen und die bürgerlichen Umgangsformen, die allesamt als Anstalten vollendeten Unsinns verhohnepiepelt werden, sind letztlich nichts als Hindernisse auf dem Weg der Protagonisten, schnellstmöglich miteinander in die Kiste zu springen. Eine junge Dame, von der es heißt, daß sie »ihr Jungfernhäutchen schon mächtig juckte«, entwickelt die raffiniertesten Pläne, um vorbei an allen Einrichtungen des öffentlichen Anstands diesem unerträglichen Zustand Abhilfe zu schaffen.

 

Phantasie beweist Francion auch in Beschimpfungen: Ein Pfaffe wird zum »jämmerlichsten Unsterblichkeitskrämer«, eine feine Dame erhält einen Hymnus auf ihre Haare, »gelb wie die Kacke eines Säuglings«, und ihre Zähne, die so aussehen, als seien sie »mit dem Schuhanzieher angeordnet«. Frank und frei gesteht der Verehrer: »Wenn ich Euch sehe, bin ich entzückt wie ein Schwein, das in Kleie pißt.«

 

Sorel hat ein Gutteil Mitschuld daran, daß sein Meisterwerk dem Vergessen anheimfiel: Die Autorschaft hat er öffentlich stets bestritten, und jede der drei Auflagen, die das Buch zeitlebens erfuhr, war politisch korrekter, sittsamer, ums Beste beschnitten. Trotz alldem war Sorels unmittelbare Wirkung ganz ungeheuer: Leibniz sprach schlicht von dem »Genie« Sorel, Grimmelshausen sah Europa gar von einem hochansteckenden »morbus francion« infiziert. Die bisher letzte, ganz akzeptable deutsche Übersetzung stammt aus dem Jahr 1967 und ist antiquarisch noch immer wohlfeil zu erstehen. Wenn es aber ein Buch gibt, das es verdient, neu aufgelegt zu werden, dann dieser zu Unrecht vergessene Klassiker des Obszönen.

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hannover, TAK Ella Carina Werner
01.05.2024 Berlin, 1.-Mai-Fest der PARTEI Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg