Humorkritik | Oktober 2006
Oktober 2006
Celle im Internet
Kürzlich gelangte ich auf die Internetseite der Gefängnisstadt, pardon: Justizvollzugsanstalt Celle. Dort begrüßte mich ein freudestrahlender »Anstaltsleiter Werner Cordes« aufs herzlichste, und die Gestaltung vermittelte den Eindruck, hier werde ein Freilichtmuseum vorgestellt: »Wir hoffen, Ihnen viel Interessantes und Informatives über unsere Justizvollzugsanstalt (JVA) anbieten zu können. Wir wünschen Ihnen dabei viel Freude und danken sehr für Ihr Interesse.«
Mit der Freude war das so eine Sache, aber leis lachen mußte ich schon, als ich auf der Seite einer Haftanstalt Titel wie »Anfahrt« oder »Downloadbereich« las. »Demnächst mehr« als zwei Bilder von Altar und Orgel der Gefängniskapelle wurde unter »Seelsorge« versprochen; und die Rubrik »Geschichte« lehrte, daß an der Legende etwas dran sein muß, die Celler hätten sich einst, vor die Wahl zwischen einer Universität und einem Zuchthaus gestellt, »zum Schutze ihrer Töchter vor den Studenten« für letzteres entschieden. Unter dem Titel »Museum« wurde au-ßerdem nicht ohne augenzwinkernden Stolz ein Artikel aus der Berliner Illustrierten vom 31. März 1912 anläßlich der Zweihundertjahrfeier der Anstalt abgedruckt: »Vor wenigen Tagen beging die Strafanstalt in Celle, die im Jahre 1712 gegründet wurde, die Zweihundertjahrfeier ihres Bestehens. Zu den Feierlichkeiten, die aus diesem Anlaß veranstaltet wurden, traf der Minister des Innern Dallwitz in Celle ein und eine große Zahl von ehemaligen Strafgefangenen, die von der Gefängnisverwaltung zu der Teilnahme an den Festlichkeiten eingeladen waren. Bei der offiziellen Begrüßung auf dem Festplatz hielt der Minister eine Ansprache: ›Sie alle, meine Herren, werden der schönen Tage, die Sie hier verlebt haben, stets eingedenk bleiben und nach dem alten durch den hochseligen König Georg IV. von Hannover und England geprägten Wahlspruch der Stadt in den Ruf einstimmen: Celle for ever! Hurra, hurra, hurra!‹ Es schloß sich ein Rundgang der Besucher durch die von den Sträflingen mit Girlanden und Emblemen geschmückten Räume der Strafanstalt an. Zwischen alten Gefängnisaufsehern und ehemaligen Insassen spielten sich herzliche Wiedersehensszenen ab. Das Fest gipfelte in einem großen Bankett, an dem mehr als dreihundert Gäste teilnahmen. Viel Heiterkeit erregte der originelle Einfall eines Häftlings, der einen witzigen Toast auf den Tisch klopfte, in der bekannten Klopfsprache, mit der sich die Zellennachbarn zu unterhalten pflegten. Spät nachts verabschiedeten sich unter Zurufen ›auf baldiges Wiedersehen!‹ die Gäste.«
Derlei Szenen spielen sich ja vermutlich noch heute ab, schließlich bleibt der Schuster bei seinen Leisten und der Gefangene seinem Gefängnis verbunden. Und tatsächlich fand sich im »Gästebuch« dann auch zwischen den üblichen Mäkeleien über schlechte Haftbedingungen oder geöffnete Post ein lobender Eintrag: »Ihr habt echt ’ne schöne JVA. Macht weiter so, aber gibt es bei euch denn auch Frühstück und Abendessen?« Ich denke schon – mindestens witzigen Toast.