Inhalt der Printausgabe

Juli 2006


Humorkritik
(Seite 4 von 8)

Kempowskis »Hamit«
In seiner Konkret-Kolumne hat mein junger und geschätzter Freund Horst Tomayer den Antikommunisten Walter Kempowski attackiert, zur Strafe für eine freche Bemerkung über freche Speisewagenkellner in Kempowskis 1990er, jetzt unter dem Titel »Hamit« veröffentlichtem Tagebuch (Knaus Verlag). Anders als Tomayer habe ich als alter, über den Parteien stehender und über jede Weltanschauung erhabener Mann in »Hamit« über alle politischen Fußangeln und Stolpersteine hinweggelesen und mich an der reinen Schönheit von Kempowskis Gemecker ergötzt: »Es ist jetzt schon soweit, daß sie einem am Donnerstag ein angenehmes Wochenende wünschen. Ab Freitagmittag sind alle Behörden dicht. Wenn sie das ganze Wochenende Bücher lesen würden, wäre es mir recht. Was machen sie bloß mit ihrer Freizeit?«
Ein komisches Glanzlicht des Tagebuchs ist der eskalierende Streit zwischen Kempowski und einer Göttinger Radfahrerin, die ihn am Rande eines Demonstrationszugs davon unterrichtet, daß im November eine Frau von der Polizei totgefahren worden sei: ›November? Wir haben doch jetzt Oktober?‹ – ›Na, die Frau, die junge Frau, im letzten Jahr!‹ – ›Welche Frau?‹ – ›Sagen Sie bloß, daß Sie nicht wüßten, welche junge Frau gemeint ist, Conny natürlich.‹ – Ich: ›Aber es werden doch jedes Jahr Tausende von Frauen totgefahren, wenn sie da jedesmal demonstrieren und Straßen sperren wollten…‹ – ›Nun machen Sie mal’n Punkt! Verstehen Sie nicht, daß diese jungen Menschen traurig sind?‹ – ›So sehen sie aber nicht gerade aus.‹ – ›Sie sind mir der Richtige! Aber mit den Tieren haben Sie Mitleid, was?‹ – ›Ich würde Polizisten nicht als Tiere bezeichnen…‹ – ‚Nun reicht’s. Halten Sie den Mund!‹ – ›Sie haben mich doch angesprochen. Und nun verbitten Sie sich eine Antwort. Das ist nicht sehr demokratisch.‹ – So in etwa mein Gespräch mit der Zickenfrau. Ich hätte ihr am liebsten in die Fahrradspeichen getreten. – Immerhin: sie siezte mich. Das ist anzuerkennen.«
Sollte sie zufällig auf diese Tagebuchnotiz stoßen, würde die Zickenfrau vor Wut über die gönnerhafte Anerkennung ihres Siezens wahrscheinlich platzen. Kempowskis Vaterlandsliebe teile ich nicht, aber für seine frechen Bemerkungen muß ich ihn einfach lieben.




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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
08.05.2024 Wiesbaden, Schlachthof Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
09.05.2024 Zürich, Friedhof Forum Thomas Gsella
09.05.2024 München, Volkstheater Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
10.05.2024 Weil am Rhein, Kulturzentrum Kesselhaus Thomas Gsella