Inhalt der Printausgabe

Juli 2006


Humorkritik
(Seite 5 von 8)

Komische Lyrik
Ich habe mich schon länger nicht mehr zur komischen Lyrik geäußert, und das vielleicht aus gutem Grund: Im Internet stieß ich auf die Seite eines Hans-Jürgen Murer. Dieser stellt dort nicht nur vielsagende Fremdzeugnisse seiner Schaffenskraft aus (»Er gehört unseres Erachtens zu den besten zeitgenössischen lebenden deutschen Lyrikern«), sondern beweist auch, daß man jede Gedichtform durch rücksichtsloses Perpetuieren (und mangelnde Sorgfalt der Auswahl) an die Wand fahren kann – übrigens auch die nichtkomischen.
Für mein Ressort sei als Beispiel der Clerihew angeführt: Dieser Artverwandte des Limericks teilt noch nicht dessen Schicksal, als vorgebliche Inkarnation des British humour von den Witzseiten zu Tode gestreckt worden zu sein. Über zwei Couplets, heißt: vier Zeilen, veralbert der Clerihew eine Person der Zeitgeschichte, indem er eine banale Begebenheit aus ihrem Leben zu berichten weiß; dabei holpert der Versfuß madrigalesk hinterher, und auch der Reim wird bis an die Grenzen der Belastbarkeit strapaziert: »Daniel Defoe / Lived a long time ago / He had nothing to do so / He wrote Robinson Crusoe«. Was hier noch von konziser Dreistigkeit getragen wird, stirbt schnell den Tod des Laienhaften; denn da ist noch Hans-Jürgen: »Armer Jan Hus, / wurdest zu Ruß! / Daß man dich eingekerkert / und verbrannt, hat dich geärgert« dichtet er; und man fragt sich vererkert, ob hier nicht vielleicht ein besonders gewitzter Schelm am Werke sei. Doch viele noch folgende pointen und geistfreie Zeilen (»Zuzuhören Reich-Ranicki, / Ist fast wie’n Geistes-Quicki. / ›Amen!‹ klatschen wir, betroffen: / Alle Fragen bleiben – offen!«) belegen: Hier hat sich ein Dilettant sein Gärtlein angelegt und erntet, was ihm unter den Fingern gedeiht, ob Boskop oder Distel.
Natürlich müssen auch Leberreim (»Die Leber ist von einem Hecht / Und nicht von einer Gröte. / Wer einen Vers zusammenreimt, / Ist lange noch kein Goethe!«) und Klapphornvers dran glauben (»Zwei Knaben gingen durch die Stadt. / Den einen fuhr ein Auto platt. / Der andre mußt, trotz Winken, / Im Großstadt-Pfuhl versinken«); aber einen Lacher, den hat er mir dann doch beschert: Robert Gernhardt hätte sich nicht träumen lassen, welcher Sproß da einmal aus seinem »Paulus-Briefen« hervorgehen würde. Herr Murer, darf ich bitten? »Paulus schrieb einst an die Russen: / Unterlaßt das viele Pussen!« Und weil das so ziemlich das Letzte ist, was ich den Russen geraten hätte, entbiete ich dem Dichter hiermit ein aufmunterndes »Reim auf!« in die Tiefen des Internets.




    1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8   


Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg