Inhalt der Printausgabe

März 2005


TITANIC Sport
Alle Wetter
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Skandal ist, wenn der Schiri pfeift:
So kann es mit dem deutschen Fußball nicht weitergehen, wenn es mit dem deutschen Fußball so nicht weitergehen soll



Franz Beckenbauer war die Empörung ins Gesicht geschrieben: "Dies ist ein unerhörter Skandal. Damit hätte ich nie im Leben gerechnet. Die Verantwortlichen müssen mit aller Härte zur Rechenschaft gezogen werden." Tatsächlich war der Bau einer Behindertenwerkstatt in Beckenbauers unmittelbarer Nachbarschaft nicht mit dem "Kaiser" abgestimmt gewesen, noch im Endeffekt rückgängig zu machen.
Kaum aus der Welt zu schaffen ist auch der Schaden, den der junge Berliner Schiedsrichter Robert Hoyzer, 25, mit dem Eingeständnis, mehrere Partien durch bewußte Fehlentscheidungen manipuliert zu haben, angerichtet hat. Die Vereine, die durch Hoyzers falsche Pfiffe Spiele verloren, schäumen, die Verantwortlichen beim DFB agieren hilflos, und noch immer tauchen neue Verdächtige auf, Schiedsrichter wie Spieler - der deutsche Fußball steckt im größten Skandal seit 35 Jahren, als mehrere Vereine Spiele verschoben, und zwar auf 12 Uhr, so daß die Fans trotz teurer Tickets gerade mal rechtzeitig zum Abpfiff kamen und ihren Unmut an unbeteiligten Innenstädten ausließen.
Wie groß das Chaos ist, in dem die Liga steckt, zeigt ein Vorfall vom Abend des zwanzigsten Spieltags, als ein sichtlich stocknüchterner Gerhard MayerVorfelder in der VIP-Lounge des Frankfurter Flughafens sich erst weigerte, die Wettervorhersage der ARD anzuschauen, und dann einen völlig logischen, stichhaltigen und aufrichtigen Satz dachte; und um ein Haar sogar gesagt hätte, wenn der Getränkewagen im entscheidenden Moment nicht gar so aufdringlich vorbeigeruckelt wäre.

Mund auf beim Schiedsrichterkauf:
So haben viele Fußballprofis nicht "gewettet"

"Fußball ist nicht irgendein Sport wie Rhönradrennen oder Steuerbetrug", schreibt der Soziologe und Fußballtheoretiker Klaus Theweleit in seinem jüngsten Buch "Tor ohne Hüter. Die größten Taktikfehler der Fußballgeschichte": "Im Fußball erleben wir den Mythos des Kampfes als Spiel, der, anders als im richtigen Leben, keine Konsequenzen hat, es sei denn, man gerät als Neger in die Fankurve von Hansa Rostock." Voraussetzung dafür sind Regeln und jemand, der für ihre Einhaltung einsteht, und wenn dieser "Leviathan im, ich sag' mal, Hobbesschen Sinne" (Andreas Brehme) seine Autorität mißbraucht, verspielt er damit zwar das Vertrauen in die "konstituierende Kontingenz des Spiels" (Lukas Podolski), gewinnt aber genau den Plasmafernseher, den der gemeine Fan gerne hätte, damit er sich Ende Februar in der Südkurve nicht den Arsch abfrieren muß.
Wie in der Zukunft Spielmanipulationen ausgeschlossen werden können, darüber herrscht allerorten Kopfzerbrechen. DFB-Mitpräsident Theo Zwanziger will nicht einmal mehr ausschließen, daß der traditionell verpönte Videobeweis doch noch eingeführt wird - ein, wie Kritiker monieren, im DVD-Zeitalter neues Indiz für die heillose Überalterung der DFB-Führung, die einen Videobeweisrekorder wahrscheinlich nicht einmal programmieren könnte. Auch möchte man in der Frankfurter Otto-Fleck-Schneise die Schiedsrichterausbildung verbessern und in Kooperation mit Sat.1 neue, lebensnahe Lehrfilme produzieren ("Schiedsrichter Alexander Hold"). Und schließlich sollen Fußballer nur noch auf den Sieg der eigenen Mannschaft setzen dürfen, was bei den Profis des SC Freiburg und des VfL Bochum schon auf einhellige Ablehnung gestoßen ist.

DFB-Präsident Mayer-Vorfelder:
"Keine Abdruckgenehmigung für dieses Foto"

Bundestrainer Jürgen Klinsmann fürchtet Konsequenzen auch für den Ruf der Nationalmannschaft und hat, um erst gar keine Zweifel an der Untadeligkeit seiner Truppe aufkommen zu lassen, den im Rotlichtmilieu verkehrenden Paul Freier vorsorglich aus dem Kader genommen. Klinsmann, nicht eben für lustige Wortspiele bekannt, fordert vom DFB ein hartes Durchgreifen: "Wettscheine mit Tipp-Ex zu korrigieren macht den Schaden nicht wett." Die Nationalmannschaft werde jedenfalls ihren Teil beitragen und fortan "ohne jeden Einsatz" auftreten.
Aber Klinsmanns Arbeitgeber ist Teil des Problems. Irritiert bis gar nicht reagierten professionelle Beobachter auf das Kommunikationsdesaster beim größten Einzelsportverband der Welt: Bereits im August vergangenen Jahres hatte der staatliche Anbieter von Fußballwetten Oddset den DFB auf "Unregelmäßigkeiten" hingewiesen: So sei DFB-Schiedsrichter-Lehrwart Eugen Strigel in der 30. Kalenderwoche am Montag um 8.30 Uhr, am Dienstag um 8.35 Uhr und am Mittwoch sogar erst um viertel vor neun zum Dienst erschienen, und das auch noch "besoffen" - eine Reaktion des DFB blieb erwartbar aus. Und als Robert Hoyzer im Januar dann aufgeflogen war, mühten sich die Oberen lange, die Katastrophe kleinzureden: Der SC Paderborn, den Hoyzer im DFB-Pokal gegen den HSV hatte gewinnen lassen, sei doch eine "sympathische Mannschaft", das "lausige Kaff" Paderborn habe "ja sonst nichts", und es sei doch gut, wenn auch mal die Kleinen gewönnen - da verlor sogar Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der um seinen FC Deutschland 06 fürchtet, die Contenance: "Das hat mit Rechtspopulismus nichts mehr zu tun."
Während der DFB mittlerweile eine Sonderkommission eingesetzt hat, greift der Skandal nach Europa über: Spieler des österreichischen Erstligisten Casino Bregenz sollen gleichfalls in illegale Wettgeschäfte mit den kroatischen Brüdern Ante, Ex-Ante und Post S. verstrickt sein. Schon haben die Behörden eine ganze Reihe verdächtiger Clubs im Visier, darunter Spielhalle St. Pölten, Café King Innsbruck und FC Puff Graz.

Morten Olsen:
"Es ist was 'foul' im Staate Dänemark"


Außenminister Jockel Fischer (Grüne) hat seiner österreichischen Kollegin Ursula Plassnik (ÖVP) bereits Hilfe zugesagt: "Die serbische Wettmafia kriegt von mir kein Visum mehr."
Nördlich der Alpen, soviel scheint sicher, hat unterdessen eine neue Zeitrechnung begonnen. Im Jahr eins nach Hoyzer ist nichts mehr wie es war: Der 1.FC Kaiserslautern wollte seinem Trainer Kurt Jara einen Elfmeter zum Geburtstag schenken - gestrichen. Und Matthias Sammer (VfB Stuttgart) hat angekündigt, sich von einem Teil seiner Plattensammlung zu trennen: Die CDs der Band Wett Wett Wett sind schon aussortiert.


Stefan Gärtner



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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt