Inhalt der Printausgabe

Dezember 2005


Humorkritik
(Seite 3 von 8)

Tomayer und Rowohlt live

Allein für seine Erfindung der unregelmäßig rhythmisierten Langverse hätten die für die Verleihung des Büchner-Preises zuständigen Schmöcke, wenn sie nicht vernietet und vernagelt wären, dem Dichter Horst Tomayer schon vor Jahren und auf alle Fälle lange vor dem an Bildungsverstopfung leidenden Durs Grünbein den Büchner-Preis zuerkennen müssen. Ich zitiere aus Tomayers »Kleiner Fahrraddiebhalsgerichtsordnung«: »Hat er mit seinem Arsch den sakrosankten Sattel nicht geschändet? / So sei er nicht um Arm und Bein verhackstückt nur und auch nicht bloß geblendet / Man pfähle ihn, man treib des Rahmens Leichtmetallgestänge / Dem Fahrraddieb nach Art Vlad Tepechs in das After und der Därme Wendeltreppengänge / Bis daß es dem Gestänge von des Fahrraddiebes Innereien graut / Und es erleichtert aus dem Maul des Fahrraddiebes schaut …«
Wer so exzellent dichtet, der hat in Deutschland sein angeborenes Recht auf hochdotierte Literaturpreise verwirkt. Horst Tomayer scheint sich damit abgefunden zu haben, daß er sowohl von der Literaturkritik als auch von der Preisjurorenmafia links liegengelassen worden ist. Ich aber sage euch, daß der späte Horst Tomayer nicht nur als Dichter ein Gigant ist, sondern auch als Vortragskünstler. Wer Tomayer jemals sein Lied vom »Leihmütterlein« singen gehört hat, der weiß, daß dieser uneitle Kneipenpoet in zwei Minuten auf der Bühne Wirkungen erzielen kann, für die William Shakespeare noch anderthalb Stunden gebraucht hat.
Klaus Bittermann, der Verleger der Edition Tiamat, hat einige der schönsten Lesungskunststücke Tomayers jetzt unter dem Titel »›Interessieren Sie sich für Sexualität?‹ live« auf CD veröffentlicht und zugleich auch noch die CD »›Der Paganini der Abschweifungen‹ live«, auf der Harry Rowohlts unterhaltsamste Abschweifungen bei Lesungen versammelt sind. Harry Rowohlt zu rühmen hieße Athen mit der Eulenpest verseuchen. Alle lieben Harry Rowohlt, obwohl er schon so vielen Strippenziehern öffentlich das Haupthaar zerzaust und so manchem Eierkopf die Schale eingeschlagen hat. Das aber kann nur daran liegen, daß Rowohlt mittlerweile vollkommen zu Recht als Gott gilt. Nicht als gütiger, beileibe nicht, aber doch als schweinischer und polyglotter Gott, der in unendlich vielen Stimmen spricht und selbst das Wienerische, Schwäbische, Sächsische, das Kölsche, Mecklenburgische, Oberfränkische, das Sarah-Kirschische und das Marcel-Reich-Ranickische akzentfrei beherrscht. Und das soll ihm erst einmal jemand nachmachen.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Cafe Extrablatt (Bockenheimer Warte, Frankfurt)!

»… von früh bis Bier!« bewirbst Du auf zwei großflächigen Fassadentafeln einen Besuch in Deinen nahe unserer Redaktion gelegenen Gasträumlichkeiten. Geöffnet hast Du unter der Woche zwischen 8:00 und 0:00 bzw. 01:00 (freitags) Uhr. Bier allerdings wird – so interpretieren wir Deinen Slogan – bei Dir erst spät, äh, was denn überhaupt: angeboten, ausgeschenkt? Und was verstehst Du eigentlich unter spät? Spät in der Nacht, spät am Abend, am Spätnachmittag oder spätmorgens? Müssen wir bei Dir in der Früh (zur Frühschicht, am frühen Mittag, vor vier?) gar auf ein Bier verzichten?

Jetzt können wir in der Redaktion von früh bis Bier an nichts anderes mehr denken. Aber zum Glück gibt es ja die Flaschenpost!

Prost! Titanic

 Endlich, »ARD«!

Seit Jahren musst Du Dich rechtfertigen, weil Du immer wieder die NS-Enthusiast/innen von der AfD zu Kuschelkursinterviews einlädst und ihnen eine gebührenfinanzierte Plattform bietest, damit sie Dinge verbreiten können, die sich irgendwo zwischen Rassenlehre und Volksverhetzung befinden. Aber jetzt hast Du es den Hatern endlich gezeigt und AfD-Anführer Tino Chrupalla in das härteste Interviewformat ever eingeladen: »Frag selbst«, das freaky Social-Media-Format von der Tagesschau, das schon Olaf Scholz mit knallharten Fragen à la »Wann Döner wieder drei Euro?« niedergerungen hat. Wir sind uns sicher: Besser als mit einem Kartoffelranking auf dem Twitch-Kanal der Tagesschau kann die AfD gar nicht entlarvt werden!

Legt schon mal die Chips bereit: Titanic

 Augen auf, »dpa«!

»Mehrere der Hausangestellten konnten weder Lesen noch Schreiben« – jaja, mag schon sein. Aber wenn’s die Nachrichtenagenturen auch nicht können?

Kann beides: Titanic

 Deine Fans, Taylor Swift,

Deine Fans, Taylor Swift,

sind bekannt dafür, Dir restlos ergeben zu sein. Sie machen alle, die auch nur die leiseste Kritik an Dir äußern, erbarmungslos nieder und nennen sich bedingt originell »Swifties«. So weit ist das alles gelernt und bekannt. Was uns aber besorgt, ist, dass sie nun auch noch geschafft haben, dass eine der deutschen Stationen Deiner Eras-Tour (Gelsenkirchen) ähnlich einfallslos in »Swiftkirchen« umbenannt wird. Mit Unterstützung der dortigen Bürgermeisterin und allem Drum und Dran. Da fragen wir uns schon: Wie soll das weitergehen? Wird bald alles, was Du berührst, nach Dir benannt? Heißen nach Deiner Abreise die Swiffer-Staubtücher »Swiffties«, 50-Euro-Scheine »Sfifties«, Fische »Sfischties«, Schwimmhallen »Swimmties«, Restaurants »Swubway« bzw. »SwiftDonald’s«, die Wildecker Herzbuben »Swildecker Herzbuben«, Albärt »Swiftbärt« und die Modekette Tom Tailor »Swift Tailor«?

Wenn das so ist, dann traut sich auf keinen Fall, etwas dagegen zu sagen:

Deine swanatische Tayltanic

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Beim Aufräumen in der Küche

Zu mir selbst: Nicht nur Roger Willemsen fehlt. Auch der Korkenzieher.

Uwe Becker

 Der kästnerlesende Kniebeuger

Es gibt nichts Gutes
Außer man Glutes.

Sebastian Maschuw

 Dialog auf Augenhöhe

Zu meinen Aufgaben als Marketingexperte in einem modernen Dienstleistungsunternehmen gehört es unter anderem, unzufriedene Kunden zu beschwichtigen. Vor kurzem beschwerte sich einer von ihnen darüber, dass wir in unseren Texten immer dieselben Bausteine verwenden. Die Mail ließ mich ganz irritiert zurück. Ein Glück, dass wir für genau solche Anfragen gleich fertige Antworten haben.

Andreas Maier

 Claims texten, die im Kopf bleiben

Ist »Preissturz bei Treppenliften« wirklich eine gute Catchphrase?

Miriam Wurster

 Feuchte Träume

Träumen norddeutsche Comedians eigentlich davon, es irgendwann mal auf die ganz große Buhne zu schaffen?

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster