Inhalt der Printausgabe

November 2004


Humorkritik
(Seite 2 von 8)

Der junge Herr Lehmann
Ich bin ein mißtrauischer Mensch. War Sven Regeners schönes Erstlingsbuch "Herr Lehmann" ein ganz überraschender Großerfolg, so ist der Romannachfolger "Neue Vahr Süd" (Eichborn Berlin), der Herr Lehmanns Vorgeschichte erzählt, einer a priori: mit Riesenstartauflage, Pressegeschrei und einem Autor, der die Kulturjournaille nicht ohne selbstgewisse Herablassung an Nordseeküsten oder in Berliner Cafés zum Kotau antreten ließ - das muß ja schiefgehen; oder jedenfalls unter den Erwartungen bleiben; oder jedenfalls unter meinen.
Tut es aber nicht. "Neue Vahr Süd", die Geschichte des jungen, vorlauten und indolenten Bundeswehrrekruten Frank Lehmann, der sich 1980 durch ein Jungerwachsenenleben zwischen Studentenmarxismus und Kasernenblödsinn schlägt, ist ein hochunterhaltsamer, trotz WG- und Generationsschilderung kitschfreier Schelmen- und Zeitroman, der mit demselben stupenden Sinn für Tempo und Timing, derselben fabelhaften Dialogregie und Figurenführung und demselben lapidaren Witz aufwartet wie sein Vorgänger (TITANIC 9/2001); auch wenn das ständige, vom Debüt übernommene innere Monologisieren der Hauptfigur: "Genau das impfen sie einem als kleinem Kind schon ein, dachte er, als er am Vormittag in seinem alten Opel Kadett sinnlos durch Bremen fuhr, daß man bei schönem Wetter auf keinen Fall zu Hause bleiben darf, das kriegt man nie wieder raus, dachte er, als er sich ein bißchen am Osterdeich ans Weserufer setzte und darauf wartete, daß ein Bockschiff vorbeikäme, dem er hinterher schauen konnte, dabei ergibt das für jemanden, der zwanzig Jahre alt ist und gerade ausgelernt hat, überhaupt keinen Sinn, bei schönem Wetter draußen herumzuhängen, dachte er" als durchaus schwaches literarisches Mittel gelten darf. Wie überhaupt das Buch, dessen stilles Thema die Redundanz des Lebens ist, sich bei der getreulichen Abbildung dieser Redundanzen über immerhin 600 Seiten stellenweise in seinem Thema verfängt und die eine oder andere Länge entwickelt.
Aber das will ich dem Ziegel, den ich ja trotzdem kaum aus der Hand legen wollte, gern verzeihen; wie ich, andererseits, dem scheint's immer dümmer werdenden Spiegel diese Rezensionsidiotie nicht nachsehen kann: "Ein schlauer, polemischer, rasanter Unterhaltungsroman, wie ihn Thomas Bernhard leider nicht zustande gebracht hat", wie der gute Bernhard ja auch sonst leider vieles nicht zustande gebracht hat: eine Zwölftonoper, ein Enkelkind, den Dritten Weltkrieg; und ein Spiegel-Abo hoffentlich auch nie.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg