Inhalt der Printausgabe
November 2004
Humorkritik (Seite 6 von 8) |
Der feine Herr Kusenberg |
"Wer ist man?" Eine gute Frage. Und eine gute Überschrift für eine Geschichte. Die beginnt so: "Als Herr Boras um halb elf Uhr vormittags ins Erdgeschoß seines Hauses hinabstieg, kam er sich federleicht vor und verspürte unbändige Lachlust." Herrn Boras wird das Lachen vergehen, denn er ist eine von Kurt Kusenberg ersonnene Figur, und die kriegen in der Regel Schwierigkeiten. Herr Boras z.B. wird, im Erdgeschoß seines Hauses angelangt, weder von seiner Frau noch seinen Kindern wiedererkannt und deshalb von ihnen seines Zuhauses verwiesen. Macht nichts: Herr Boras findet ein neues. Komisch an Kusenbergs Geschichten, in denen ganz normale, biedere Menschen auf groteske Weise aus den gewohnten Lebensbahnen hinauskatapultiert werden, ist die Fallhöhe zwischen dem banalen Personal und den aberwitzigen Dingen, die jenem zustößt, vor allem aber die stoische Gelassenheit, mit der es auch noch die absurdesten Volten des Schicksals als vollkommen selbstverständlich wegsteckt. Federleicht ist das erzählt, in einem vordergründig altbacken ziselierten Stil, der den vertrackten Irrsinn um so hübscher zur Geltung kommen läßt. Kurt Kusenberg (1904-1983) könnte gut und gern eine Figur seiner eigenen Geschichten sein. Auf Fotos sieht dieser subversive Dichter wie ein überkorrekter Buchhalter aus. Als Lektor des Rowohlt-Verlags arbeitete er denn auch treu im Hintergrund (und erfand daselbst die rororo-Monographien). Diese Treue zahlt der Verlag seinem ehemaligen Angestellten heim: Immer, wenn Kusenberg ein Jubiläum hat, legt rororo wieder ein Bändchen auf (in diesem Jahr zum 100. Geburtstag die Sammlung "Wein auf Lebenszeit"). Vermutlich wäre dieser feine, wundersame Erzähler sonst gänzlich vergessen. So aber kann man ihn immer mal wieder neu entdecken und lesen. "Da war auch Herr Boras zufrieden." |
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