Inhalt der Printausgabe
Dezember 2002
Vom Fachmann für Kenner (Seite 8 von 16) |
Atompilze Tschernobyl hatte auch sein Gutes: Wenn in den Folgejahren der Herbst mit langen Regentagen Einzug hielt und die heimatlichen Bäume bestürmte, mit ihrem welken Kleid den moosbewachsnen Waldboden zu bedecken, und wenn dann die Sonne sich anschickte, das löchrige Blätterdach noch einmal munter zu durchdringen, dann war es damals stets eine gute Zeit, in die Pilze zu gehen. Denn nachdem "die Wolke" von Osten über unser Land gezogen war und Gammastrahlung in den deutschen Mischwald pißte, da war dies auch der GAU der Pilze. Aus langen Wurzeln sogen sie das schreckliche Russengift gierig aus dem durchtränkten Erdreich und speicherten es tapfer in ihren Schwämmen. Als dies bekannt wurde, war der Speisepilz in den Augen der meisten Sammler keinen Pfifferling mehr wert und verfaulte am Stiele - es sei denn, er streckte sein vorwitziges Köpfchen in meiner Heimat durchs Unterholz. Nicht ganz eine Stunde war damals nötig, fünf Kilo Steinpilze aus dem Wald zu befördern. Goldene Pilzsammelzeiten! Heute hingegen ist alles wieder wie vorher: Wo man hintritt, abgeerntete Stiele, von kundiger Hand zurückgelassenes Wurmstichgewebe und Armeen giftiger Lamellenkappen, die den Sammler hohnlachend auf sonnigen Waldlichtungen empfangen. Auch letzten Sonntag kehrte ich, von Heerscharen garstiger Frühaufsteher ausgebootet, mit zwei kümmerlichen Birkenpilzen heim. Deshalb mein Ruf an die rotgrüne Bundesregierung: Laßt Obrigheim ruhig noch am Netz - ich nehm' hernach die Pilze! Niels Jürgens
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