Inhalt der Printausgabe
TITANIC Städtecheck Wiesbaden
Das Internet hat schon 2015 rausgefunden: Wiesbaden ist die dümmste Stadt Deutschlands. Seitdem hat sich die Lage verschlechtert beziehungsweise verbessert. Ein Besuch von Gunnar Homann.
Ein kühler Freitagvormittag in Wiesbaden, auf den ersten Blick eine Stadt ohne Straßenbahn, ein ordentliches Gemeinwesen, in dem Parks, Kurhäuser (1) und Museen exakt den Platz einnehmen, den Google Maps ihnen zugewiesen hat. Dazwischen stehen andere Gebäude, alt, aber bingobongo in Schuss (Kurhaus, Staatstheater). Die Bürgerinnen und Bürger, IQ 85, bewegen sich in Automobilen, zu Fuß und auf Rollern durch die Stadt. Sie scheinen nicht zu wissen, dass sie dumm sind. Sie machen an diesem Freitagvormittag, was sie machen, legen sich einen Schal um, kaufen Pflegeprodukte, sprechen darüber, haben Epiphanien, heben und senken den Blutdruck, altern, fahren mit vorgeschriebener Höchstgeschwindigkeit. Sie schleichen um die zur Stunde noch geschlossenen Glühweinstände auf dem Weihnachtsmarkt, gehen ins Kurhaus und in normale Rechtsanwaltskanzleien für irgendetwas. Wahrscheinlich können sie nicht lesen, nicht den »Focus«, der 2015 unter Berufung auf eine seriöse Untersuchung der Internetplattform Mein-wahres-Ich.de meldete: Wiesbaden sei die dümmste der 30 größten Städte Deutschlands, gemeinsam mit Wuppertal. Beide brächten es auf einen IQ von 104. Inzwischen ist der Wert laut der besagten Plattform auf 85 gesunken, trotzdem ist Wiesbaden neuerdings nur noch dümmste Landeshauptstadt Deutschlands und nicht mehr die dümmste der 30 größten Städte, weil Wuppertal härter gearbeitet hat und seinen IQ in der gleichen Zeit auf 84 hat drücken können. Aber wer will schon nach Wuppertal? Wahrscheinlich nicht einmal die Wiesbadener, die gerade den Bahnhof suchen, wollen es. Es führt eine breite Straße hin, die Bahnhofstraße heißt. Trotzdem kommen nicht alle an, manche lassen sich irritieren.
Fazit:
Wiesbadener sind klug. Wenn man sie in Sichtweite des Staatstheaters fragt, wie man zum Staatstheater kommt, können es einem alle drei erklären: eine gepflegte Dame in roter Daunenjacke, ein energisch gegelter Mittvierziger und ein freundlicher Rentner mit altersverbreiteter Kappe auf dem Kopf. Ein vierter hebt ratlos die Schultern und behauptet, er sei aus dem Saarland (IQ 102).