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Orange ohne Grund – die Welt des Aperol

Die heiße Jahreszeit ist da und hat unter anderem Spargel, Pollen und Achselschweiß im Gepäck. Sobald Ü50-Herren fidel "oben ohne" Straßenbahn fahren, wird es Zeit, sich abzukühlen. Seit Jahren kann das konstant am besten das Bayern München unter den Spirituosen, der Max Giesinger im Glas: Das Aperölchen. Spirituosen-Expertin Kati von Schwerin nimmt das It-Getränk des Sommers unter die Lupe.

Er prickelt, er leuchtet und er ist supercool: unser Aperol-Spritz. Wir Edelhipster sind erquickt, wir kreischen, wenn wir ihn nur erblicken und werfen Kleingeld wie Konfetti. Oder großes Geld, je nachdem, was wir eben gerade in der Tasche haben für unser Lieblingspiece. Wir scharren mit den Hufen, wenn wir endlich wieder "Spritzi" trinken können, am liebsten bestellen wir ihn "to go" und stilecht aus Plastikbechern, in denen wir lässig mit unseren kurzen schwarzen Strohhalmen rumrühren, wo diese noch erlaubt sind.

Doch woher kommt der Hype eigentlich? Warum dieses unser Getue um das Gesöff?

Ursprünglich kommt der Aperol aus Italien, was uns aber nicht interessiert. Irgendjemand hat ihn irgendwann mal mitgebracht, wie das ja oft so ist mit kulinarischen Schmankerln und Saufgetränken. Was viele nicht wissen: Der Likör wird für den deutschen Markt extra mit 15 Prozent Umdrehungen hergestellt, statt mit nur 11 Prozent wie in allen anderen Ländern. Deutschland kriegt den Extraschuss. Wir haben keine Zeit zu verlieren, die Nächte sind kurz und der Sommer ist lang. Wir möchten keinen banalen Genuss, wir wollen Nägel mit Köpfen, wir wollen kreischend auf der Straße lachen, wir wollen Foxtrott in unserer Heterobeziehung tanzen und beim Cornern überschwänglich mit "Wuhu, wer seid ihr eigentlich?" anstoßen, bevor die Polizei den Platz räumt.

Der Aperol ist orange wie ein Sonnenuntergang, Präsidentenhaut oder die Trikots der holländischen Nationalmannschaft. Grund dafür sind die guten alten Farbstoffe: Gelborange S (E110) und Cochenillerot A (E124) zaubern das sommerliche Kolorit in die Flasche, während die Bitterorange selbst überhaupt gar nichts beizutragen hat. Auf sie könnte man eigentlich gänzlich verzichten, aber dann hätten wir ja nicht mehr unseren geliebten Aperol. Zusammengemixt ist dieser aus Zeug, das in jeder guten Reispfanne zu finden ist (Chinarinde, auch ein tolles Thema), ein klassischer Bitter, der über Jahre zumindest hierzulande völlig uninteressant war. Campari-O war lange Zeit der Big Player im Bitter-Cocktail-Geschäft, doch aus mystischen Gründen lief Aperol ihm den Rang ab. Und zwar durch einen genialen Twist: Man fügte ihm noch mehr Alkohol hinzu. Saufsekt. 

Da diese orangene Offenbarung "roh" nur schmeckt wie grob kandierter Chicorée, musste fix ein Mix her, der das Likörchen massen- und biergartentauglich machte. Da der gewöhnte Trinker schnell überfordert ist von zuviel Kreativität, wurde nicht lange rumexperimentiert: Man schüttete alles auf mit Mineralwasser, haute gut schnippelbare Orangen rein und fertig war "der Gespritzte" oder eben Aperol Spritz, oder auch "Sprizz", wie es die Campari Company umwurstete. Womöglich entstand diese ausgefuchste Wortbastelei aufgrund erschlaffter Zungen, die nach fünf "Apis" das "tz" nicht mehr einwandfrei übermitteln konnten, oder aber man wollte ganz bewusst den doppelten Konsonanten haben, weil sich das in ähnlichen Genusswelten auch erfolgreich etabliert hat (siehe Kiffen, Wixxen, Spliff). Es wurde Werbung geballert, was das Zeug hält, ein "Lebensgefühl" propagiert und mit dem Schlager-Slogan "Verrückt nach Leben" eine ganze sinnsuchende Generation angesprochen. Vor allem uns 30er-Riegen in den Metropolen, die wir total weltoffen sind, jeden Tag Video-Telefonie-Konferenzen haben und das Café zu unserem Homeoffice machen, werden angepeitscht, den freshen Drink in unseren busy, crazy Lifestyle zu integrieren. Was früher noch Afterwork hieß, heißt jetzt Aperitif bis zum Obstkoma.

Der dazugehörige Werbespot machte unmissverständlich deutlich, was zu tun ist. Du fährst mit dem Taxi in eine Säuferdemo, du bist der Star, alle haben nur auf dich gewartet, denn du hast es geschafft: Du hast Pumuckl das Toupet geklaut. Sofort gibst du zu verstehen, dass du mit Deiner Fingerpistole auf der Stelle das Glas zerschießt, wenn der Barkeeper nicht bald rankommt und auffüllt. Wow, was ein Lebensgefühl. Doch leider ist es nicht ganz so einfach. Psychologinnen warnen bereits: "Wer sich irgendwo hinstellt und proklamiert, er sei 'ein bisschen verrückt', der ist tief in seinem Inneren leider zumeist 'nearly dead'", erklärt Susanne Barmus, die sich zur Recherche des Phänomens selbst über Jahre hinweg gemeinsam mit ihren Kolleginnen in die Welt der Apreroltrinkerinnen begab. Kurz nach unserem Telefonat schrieb sie uns, sie hätte ihre Abbropation verloren. Aperolopfer gibt es vielerorts: Henry B. wurde aus einer Berliner Bar geschmissen, weil er seinem Chef vorschlug, es beim Aperol Spritz doch mal mit Gurke zu versuchen. Die Angestellte A.W. berichtete gar, sie hätte ihren gesamten Freundeskreis verloren, als sie verlauten ließ, ihr sei "das Zeug zu bitter". Es scheint also Obacht geboten, und man sollte als Mittrinker eine Auge haben auf die Aperol-Fraktion. Der Ernst der Lage wird oft nicht deutlich, und am nächsten Morgen bleibt plötzlich ein Stuhl leer und jemand liegt im Teich. Am 11. September 2019 sind viele Aperoltrinkerinnen nicht auf Arbeit erschienen. 

Ja, das gute alte VoWe-Bier (Vorneweg-Bier) hat ausgedient und verkommt zum profanen Durststiller, während der Aperol einen Hauch von Eleganz und Stil verspricht. Ohne es zu bemerken, geben sich zu Viele dieser trügerischen Illusion hin und können am Ende die 1-Zi-Wo mit Kü-Ba ohne Balkon nicht mehr ertragen. Nein, immer schön raus, immer schön Aperol-Spritz, ahahaha. Dann beginnt der Teufelskreis, die Abwärtsspirale. Viele unschuldige Menschen wurden in den vergangenen Jahren so bereits zu Sprizzern gemacht. Selbst Gastronomen beäugen den Hype mittlerweile sorgenvoll und berichten (anonym, in Hinterhöfen, ohne Zeugen) von herzzerreißenden Szenen: "Der Hugo war früher auch ein Star, von allen geliebt und gefeiert, aber inzwischen sitzt er oft allein im Park und sucht Zigarrettenstummel zusammen. Das ist doch traurig, gluck, gluck."


Kati von Schwerin

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Briefe an die Leser

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Apropos: ¡Hola bzw. holla, spanischer Priester!

Du hast Dir die Worte aus dem Matthäusevangelium »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« zu sehr zu Herzen genommen und in Deiner Gemeinde in der Kleinstadt Don Benito einen regen Handel mit Potenzmitteln betrieben. Für diesen nach weltlichem Ermessen offensichtlichen Sündenfall musst Du Dich nun vor einem irdischen Gericht verantworten.

Uns ist zwar nicht bekannt, ob Du Dich gegenüber Polizei und Justiz bereits bußfertig gegeben hast oder weiterhin auf das Beichtgeheimnis berufst. Angesichts der laut Zeugenaussagen freudigen Erregung Deiner überalterten Gemeindemitglieder beim Geläut der Glocken sowie ihres Durchhaltevermögens bei den nicht enden wollenden Eucharistiefeiern inklusive Rumgeorgel, Stoßgebeten und orgiastischer Gottesanrufungen sprechen alle Indizien aber ohnehin gegen Dich!

Bleibt auch ganz ohne künstliche Stimulanzien weiter standfest im Nichtglauben: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg