Humorkritik | Juli 2019

Juli 2019

Ich lache über Alles.
Gottfried Benn

Erwartung vollkommen erfüllt

MagentaTV wartet mit einer brandneuen Satire-Show auf: »In der brandneuen Satire-Show ARTIKEL 5 antwortet Autor und Comedian Micky Beisenherz auf die bohrenden Fragen unserer Zeit. Immer mit Haltung, immer mit Humor. Zuweilen auch mit Galgenhumor. Dabei geht es um Politik und um Wirtschaft, um Kultur und Gesellschaft. Eigentlich geht es um nicht weniger als die Lage der Nation.« Obzwar ich keine Ahnung habe, was MagentaTV ist, habe ich die erste Folge gesehen. Es gibt sie nämlich auch auf Youtube, und ich hatte gerade dreißig Minuten Lebenszeit übrig.

Es war erwartbar schlimm. Beisenherz saß am Schreibtisch, im Hintergrund Hochhauslichter bei Nacht, und monologisierte – »immer mit Haltung« – frisch konform drauflos: »Wollen Sie wissen, wer einen guten Teil der Verantwortung dafür trägt, dass Ihre Miete fast mit Ihrem Einkommen identisch ist? Sie da draußen selbst!« Als würden die Systemschwächen des Kapitalismus nicht gerade bei den Mietverhältnissen augenfällig. »Den Landeiern müsste man zurufen: Kommt nicht in die Städte! Ihr dämlichen Bauern! Bleibt, wo ihr seid! Durch euch steigen die Mieten in den Ballungsräumen!« In den Einspielern sind dann allerdings gar keine Landeier zu sehen, sondern die Lachgaranten Horst Seehofer und Christian Lindner. Letzterer berichtet von eigenen Problemen bei der Wohnungssuche in der Berliner Friedrichstraße, Beisenherz darauf: »Man möchte fast für ihn sammeln!« Übers Bienensterben erfahren wir: »Bienen sind die neuen Eisbären, bald sind sie alle weg. Wobei: Die meisten Eisbären hat ja der Berliner Zoo gekillt.« Und warum sind Bienen wichtig? »Weil Bienen pausenlos Pflanzen bestäuben, also quasi begatten. Sie sind der Marc Terenzi des Tierreichs, nur halt mit Funktion!«

Die Referenz Marc Terenzi ist symptomatisch. M. Beisenherz macht auch bei »Artikel 5« das einzige, was er kann: konsequent blödmaschinenkompatible Werkzeugkastenkomik. Am Ende hatte ich das Gefühl, hier habe man das Schlimmste aus »Heute Show«-Scherzen, Dschungelcamp-Argot und Atze-Schröder-Attitüde zusammengerührt, bis mir dann beim Lesen seines Wikipedia-Artikels auffiel: Beisenherz schreibt für alle drei.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hannover, TAK Ella Carina Werner
01.05.2024 Berlin, 1.-Mai-Fest der PARTEI Martin Sonneborn mit Sibylle Berg