Humorkritik | Juli 2019

Juli 2019

Ich lache über Alles.
Gottfried Benn

RWF

Der deutsche Komödienregisseur Ralf Westhoff ist ein echter Kritikerliebling: »Ralf Westhoff schreibt die wohl besten Dialoge im deutschen Kino«, schreibt die wohl beste »Zeit«, und »er beherrscht die seltene Begabung, Dialoge glaubwürdig wirken zu lassen und sie gleichzeitig komisch zuspitzen zu können« die »Süddeutsche«. Die Liste ließe sich leicht verlängern. Mit »Wir sind die Neuen« hatte Westhoff mit knapp einer Million Zuschauern großen Erfolg; zuletzt im Kino lief »Wie gut ist deine Beziehung?«.

Ralf-Westhoff-Filme, kurz: RWF, sind allesamt Beziehungskomödien, sie setzen auf Konstellations- und Situationskomik, und alle seine Figuren haben Marotten und Spleens, mit denen sie auf andere, gleichfalls spleenige Figuren losgelassen werden. Das funktionierte in seinem Erstling »Shoppen« ziemlich gut, weil Westhoff auf eine klassische Erzählung verzichtete und sich ganz auf sein Konzept verließ: Ein rundes Dutzend Männer und Frauen werden beim Speed-Dating beobachtet, die Figuren werden nur in aller Kürze entwickelt, jede bekommt die erwähnte kleine Schrulligkeit, etwas Notorisches, ein »dunkles« Geheimnis verpasst, und dann werden sie einander gegenübergesetzt. Das klingt dann etwa, wenn der Koch Egon auf die selbstbewusste, feministisch informierte Susanne trifft, so:

Susanne: »Über was soll ma reden, ha?«
Egon: »Ich kann gerne Vorschläge machen, bis du ›Stopp‹ sagst.«
Susanne: »Gut.«
Egon: »Segelfliegen. Viktualienmarkt. Tschaikowsky. Kinder kriegen. Bergwandern. Gesundheitsreform. Zinnsoldaten sammeln. Sauna. Mode. Blinddarmentzündung. Sagst du irgendwann ›Stopp‹ mal?«
Susanne: »Stopp.«
Egon (ungläubig): »Blinddarmentzündung?«
Susanne: »Du, das war dein Vorschlag. Weiß auch net, warum wir uns über Blinddarmentzündung unterhalten sollen.«
Egon: »Na ja, es war nur ’ne Auswahl, du solltest halt irgendwann ›Stopp‹ sagen.«
Susanne: »Da war aber nix dabei. Zefix, jetzt hamma schon über eine Minute rum, und ham noch net amal ein Thema. Des schaut fast so aus, als hätten wir keine gemeinsamen Themen.«
Egon: »Dann sag du mir doch deine, und ich sag ›Stopp‹.«
Susanne (gelangweilt): »Kochen.«
Egon (begeistert): »Stopp!«

Allerdings deutet sich bereits in »Stoppen«, pardon: »Shoppen« an, dass Westhoffs Figurenanlage oft Glückssache ist. Während manche Charaktere Spaß machen, etwa der Neu-Münchner, der alles in der großen Stadt mit seinem Herkunftskaff vergleicht, missraten andere, etwa der bayrische Playboy, der als peinlicher Depp vorgeführt wird. Besonders kommt es dabei auf die Schauspielerleistung an, denn ihre Marottenhaftigkeit lässt die Figuren stets an der Grenze zum Nervensägentum wandeln, und es ist für die Darsteller nicht einfach, Westhoffs Schöpfungen umzusetzen. In »Wir sind die Neuen«, in dem eine Alt-68er-WG in die Wohnung unter einer Studenten-WG zieht, die Studenten sich in ihrem Ehrgeiz und Fleiß wie die Alten aufführen, während die wirklich Alten dauernd feiern und das Leben genießen wollen, geht das Konzept dann auch schon nicht mehr ganz so gut auf: Zwar konzentriert sich auch dieser Film auf den Figuren-Clash, aber hier nehmen die missratenen Charaktere überhand, die jungen Leute werden als dermaßen unhöflich, feindselig und frühvergreist dargestellt, dass es bald eher nervt als unterhält.

Im neuen Werk »Wie gut ist deine Beziehung?« setzt Westhoff nun mehr auf Geschichte als auf Konstellation. Es geht um den Enddreißiger Steve, der miterlebt, wie sein bester Freund von der Partnerin verlassen wird. Da kommen auch bei ihm Zweifel an der eigenen Beziehung auf. Um herauszufinden, ob im eigentlich harmonischen Verhältnis zu seiner langjährigen Freundin alles in Ordnung ist, stellt er sie auf die Probe und setzt damit die Beziehung erst wirklich aufs Spiel. Im engen Plot-Korsett aber entwickeln die Klischeefiguren kaum noch Witz, und die flirrenden Dialoge, die man aus »Shoppen« kennt, verkommen zu bloßen Funktionsträgern einer komplexer konzipierten Story. Zudem kommen die nun deutlich hierarchischer angelegten Nebenfiguren nicht mehr recht zur Geltung. »Wie gut ist deine Beziehung?« ist Westhoffs bisher schwächstes Stück. Es scheint, dass er mit »Shoppen« schon den Film gedreht hat, der seine Stärken am besten zeigt.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg