Humorkritik | November 2018

November 2018

Lachen ist auch so eine Kraft der Schwachen!
Bertolt Brecht

Der lustige Instinkt der Vernunft

Wer mit akademisch trockenem Ernst übers Lachen schreibt, disqualifiziert sich selbst: So lautet ein Vorurteil, dem nicht nur Komikautoren anhängen. Die ungarische Philosophin Ágnes Heller schreckt mit ihrem schwer in der Hand liegenden Buch »Was ist komisch? Kunst, Literatur, Leben und die unsterbliche Komödie« (Edition Konturen), dessen 260 Seiten mit nichts als einem dicht gesetzten, von keiner Illustration unterbrochenen Text asphaltiert sind, erst einmal ab – bis man merkt, dass aufgeschlossene Laien und selbst Komikprofis auf dieser Gedankenreise durch die Welt des Komischen durchaus bei Laune gehalten werden: mit überzeugenden Analysen und sogar ein paar guten Witzen. Wer auf dem langen Weg dennoch wegnickt, wird mit Aperçus wie »Die Logik des Witzes ist die Logik des entfesselten Geistes« oder »Der Instinkt der Vernunft ist das Lachen« wieder geweckt: Die Vernunft ist die Kraft, die Ágnes Heller zufolge alle Komik hervortreibt, als praktische, zweckorientierte Alltagsvernunft (wie im bürgerlichen Lustspiel) oder als intellektuelle, wertorientierte Rationaliät wie in philosophisch grundierten jüdischen Witzen.

Fragen freilich bleiben – z.B. warum altes Zeug wie der »Don Quijote« oder Molières »Tartuffe« herhalten muss, wenn es um die Komödie bzw. den komischen Roman geht –, aber die Ergebnisse sind stichhaltig, wie im Fall Pieter Bruegels d.Ä., der Beispiele für komische Malerei liefert. Fragen kann man auch, ob es schon im 18. Jahrhundert regelrechte Witze gab, denn die zitierten schmecken eher nach Anekdote und Schwank; aber wenn sie auch keine echten Witze sind, sie haben Witz. Fragen darf man ferner, ob sich außer Hobbes und Kant wirklich kein Philosoph je dem Komischen gewidmet hat – aber zugegeben, jener mit seiner Theorie vom Lachen als Ausdruck von Dominanz und dieser mit seinem Modell der Inkongruenz (eine gespannte Erwartung zerplatzt zu nichts) leuchten ein; ebenso wie Freuds These vom befreienden, erlösenden Effekt komischer Medizin.

Die Antworten auf derlei Fragen finden wohlwollende Leser also selbst. Mehr noch, man wird statt bloß zu kritischen auch zu weiterführenden Fragen angestachelt. Wenn z.B. Heller zufolge Picasso ein Ironiker und Chagall ein Humorist war, ist dann nicht (fast) alle moderne Kunst komisch? Wenn die Vernunft der Treibstoff des Lachens ist, erklärt das nicht, warum es im religiös verdummten Mittelalter verpönt war? Leben und Tod, das ist Ágnes Hellers philosophische Volte zum Beschluss, sind es, die den Menschen komisch stimmen: »Die menschliche Existenz selbst ist die wesentliche Inkongruenz«, weil sie wie ein Witz im Nichts endet. Lachend jedoch triumphiere der Homo sapiens über seine Endlichkeit, so »dass wir uns in innerster Seele frei fühlen und unsere Angst vor dem Tod loswerden.«

Das ist eine große Theorie – nur ist sie vielleicht zu klein. Sie trifft schlechthin auf alle Kunst zu, weil jedes Kunstwerk, indem es etwas Zeitweiliges festhält, auf Dauer zielt und der Vergänglichkeit ein Schnippchen schlagen will. Das sagte vor zwanzig Jahren schon Harald Fricke in seinem Buch »Gesetz und Freiheit. Eine Philosophie der Kunst«. Und nun auch Ihr Hans Mentz in einer unsterblichen Humorkritik.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
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