Humorkritik | Dezember 2018

Dezember 2018

Wir lachen, weil wir glauben, dass es ein Witz ist.
Fiston Mwanza Mujila, »Zu der Zeit der Königinmutter«

Der unerwartet erfreuliche Kinobesuch eines Skeptikers, der sich einen Fakirfilm ansehen ging

Vieles spricht gegen den Film »Die unglaubliche Reise des Fakirs, der in einem Kleiderschrank feststeckte«: der Titel, die Musicaleinlagen und die naive, schönmalerische Sicht auf Armut und Flüchtlinge. Dennoch empfehle ich den Film.

Die Handlung ist simpel. Drei Jungen aus Mumbai, zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, bekommen Besuch von ihrem Lehrer Aja (Dhanush), der sie entgegen ihren Erwartungen allerdings nicht verprügeln, sondern ihnen seine Lebensgeschichte erzählen will (auch wenn einer der Verurteilten »da lieber die Prügel« nehmen würde). Aja, Sohn einer armen alleinerziehenden Mutter, bekam einst als Kind einen Ikea-Katalog in die Hand, sah die dort abgebildeten Herrlichkeiten westlicher Lebensart und wollte nicht mehr arm sein. Jahre später, als junger Mann (und Fakir), fliegt er nach dem Tod seiner Mutter nach Paris, wo er ein Ikeageschäft besucht und sich dort in eine junge Amerikanerin verliebt. Er nimmt Kontakt mit ihr auf, indem er sich neben sie in die ausgestellten Wohnzimmereinrichtungen stellt (schließlich müsse er »ein Wohnzimmer testen, bevor ich es kaufe«) und mit Sätzen wie »Liebling, ich finde meine Autoschlüssel nicht!« oder »Ich arbeite den ganzen Tag, es wäre schön, wenn du mir abends etwas zu essen kochen könntest!« an sie wendet. Nach kurzer Irritation geht Marie auf das Spielchen ein und gibt die gereizte Ehefrau. Man verabredet sich unterm Eiffelturm. Doch zum Treffen kommt es nicht, denn Aja beschließt mangels Geld, in einem der Ikea-Kleiderschränke zu übernachten, welcher aber aus diffusen Gründen nächtens nach England verbracht wird (Plausibilität ist nicht die Stärke des Films, aber das macht nichts, die Märchenhaftigkeit der Geschichte ist ohnehin unübersehbar) – womit eine Odyssee beginnt, bei der Aja zum Flüchtling und mit anderen Flüchtlingen durch Europa geschickt wird, bis in ein Flüchtlingscamp in Libyen.

Auch wenn er manchmal zu sehr ins Klamottige kippt und das Thema Flucht nur sehr vordergründig problematisiert: die Pointen dieses Films gehen nie auf Kosten der Flüchtlinge, mit denen sich Aja auf seiner Reise anfreundet. Die Gags zielen vielmehr auf das europäische Dublin-Regime mit all seinen Rückführungen, Abschiebungen, Eintrittsländern und Drittstaaten als ein System, das angesichts der Probleme der Menschen, um die es dabei geht und den Zuständen, vor denen sie fliehen müssen, bösartig ist. Hollywoods heilige Kuh, die Familie als Zentrum und Ursprung von Moral und Erkenntnis, spielt in dem Film so überraschend wie erfreulich kaum eine Rolle, eine echte Kuh hingegen schon.

Ganz am Ende werden auch die Unwahrscheinlichkeiten der Geschichte erklärt. Dem Gefängniswärter, der die drei Delinquenten bewacht und alles mit angehört hat, sind jene offenbar auch aufgefallen, und er fragt nach, ob denn das alles wirklich wahr sei. Ajas Antwort: »Die wichtigen Teile schon.«

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Die Bunte zitiert Sie mit der Aussage: »Um zu überleben, muss man gesund sein, und wenn man am gesündesten ist, sieht man einfach auch am jüngsten aus!« Gut, dass Sie diese Erkenntnis an uns weitergeben!

Geht jetzt zur Sicherheit bei jeder neuen Falte, Cellulitedelle und grauen Strähne zum Arzt:

Ihre greise Redaktion der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

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Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg