Humorkritik | August 2018

August 2018

»Beim Abendessen gerieten selbst die faulsten Zungen ins Schwätzen. Da wurde von allem und jedem geredet, wer sich neue Hosen hatte machen lassen und wie es im Innern der Erde aussehe und wer ­einen Wolf erblickt hatte; hier gab’s auch eine Menge Witzbolde, an denen ja unter den Kleinrussen kein Mangel ist.«
Nikolai Gogol, »Der Wij«

Bumm! Bumm! Aber viel lauter!

Komik kann Scheiße in Gold verwandeln und aus Krieg eine Lustpartie machen. Die Beweise liegen in Form von Spielfilmen und Monty-Python-Sketchen vor – und in Prosa schon aus der Zeit vor Erfindung des Kinos: »Mit dem ersten Hahnenschrei des Sonnengottes verfügte ich mich auf das zu erwartende Feld der Ehre«, beginnt so eine alte Kriegsberichtsparodie, woraufhin der ­Reporter dem Schlachtgewühl »sowohl mit einem Tohu als auch einem Bohu« aus ­Redensarten, Metaphern, geflügelten ­Worten und klassischem Bildungsgut tapfer nacheifert: »Die Kugeln fielen wie die ­Fliegen«, meldet er und lobt: »Die Türken kämpften mit dem Muthe der Verzweiflung, der man die Jungen geraubt«; aber »der ­Kanonendonner war schrecklich. Bumm! Bumm! Aber viel lauter!« Die Redaktion ­bedankt sich artig: »Ihr wertes Gemetzel ­haben wir erhalten.« Statt Kanonendonner hört der Reporter allerdings bloß das Kratzen seiner Feder auf Papier, weil er seine Kriegsberichte aus dem sicheren Provinzstädtchen Bernau nach Berlin sendet – im Einverständnis mit der Redaktion.

Schöpfer des ganzen parodistischen Brimboriums war der Satiriker Julius Stettenheim, der es in seiner Zeitschrift »Berliner Wespen« inszenierte. Ihm gelang es mit der Figur des Berichterstatters »Wippchen«, dessen fiktive Reportagen und Korrespondenzen zwischen 1878 und 1905 erschienen und später sogar in 16 Bänden gesammelt wurden, kriegerischen Ungeist in große Komik aufzulösen. Dabei vergaß Stettenheim vor lauter Spaß am sprachlichen Getümmel nicht, wer am blutigen Ernst schuld ist: »Die drei Minister beriethen über die Abrüstung«, schildert Wippchen ein deutsch-österreichisch-russisches Gipfeltreffen: »Von Giers war dagegen, Fürst Bismarck wollte nicht, und Graf Kalnoky hielt die Sache für verfrüht. Nun sollten die Würfel entscheiden. Sie wurden in einem goldenen Becher gebracht. Jeder Minister warf 18, worauf die drei Herren ein Stündchen zur Tagesordnung übergingen.« Bei einem Staatsakt in Spanien wiederum »entstand ein Gedränge, und ein Gelehrter, der ausweichen wollte, stolperte und stürzte vor die erhabenen Füße des Königs zu Boden. ›Was es auch sei‹, sprach der König, ›es sei Euch gewährt!‹ – Und was war es? Der Gelehrte hatte sich das Knie aufgeschlagen. Der König nahm sein Wort trotzdem nicht zurück.«

Weil der gutartige Wippchen sich nicht eignete, journalistische Verschmocktheit zu parodieren, erfand Stettenheim später die Figur des »Interviewers«, in der Aufgeblasenheit und Ahnungslosigkeit eine berufsgemäße Allianz eingehen: »›Was führt mich zu Ihnen?‹ fragte ich den Minister, um das ­Gespräch zu eröffnen«, ein selbstredend hochwichtiges Gespräch »Unter vier Augen« (so der Titel des Sammelbands 1895), das ­exemplarisch so endet: »Er zeigte dann auf die Thür, als wollte er andeuten, daß ich durch dieselbe noch recht oft wieder eintreten möchte. So raubte mir denn der berühmte Feldherr nicht länger meine kostbare Zeit.«

Stettenheim, der sich »poeta kalaureatus« nannte, was damals noch kein abgegriffenes Wortspiel war, starb 1916. Da war Wippchen der Spaß längst vergangen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella