Humorkritik | August 2018

August 2018

»Beim Abendessen gerieten selbst die faulsten Zungen ins Schwätzen. Da wurde von allem und jedem geredet, wer sich neue Hosen hatte machen lassen und wie es im Innern der Erde aussehe und wer ­einen Wolf erblickt hatte; hier gab’s auch eine Menge Witzbolde, an denen ja unter den Kleinrussen kein Mangel ist.«
Nikolai Gogol, »Der Wij«

Bloß keine Wellen

»Wahre Welle TV«, eine Aktion der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB), parodiert in sieben Youtube-Filmen mal besser, mal plumper rechte und rechtsesoterische Weltverschwörungstheorien. Weil dieses wackere Satireprojekt im Dienste der freien demokratischen Grundordnung sich nicht gleich als solches zu erkennen gab, sondern erst einmal Werbung für sich machte, die aufs Augenzwinkern verzichtete, fielen ­einige rechte und rechtsesoterische Welt­verschwörer darauf herein – und wurden von den fertigen Filmen eines Besseren ­belehrt: Zweimal hinschauen, liebe Nazis! Und künftig mal an der Medienkompetenz arbeiten!

Jürgen Amendt vom »Neuen Deutschland« sieht mit der Aktion anscheinend eine neue Ära anheben. »Es gab eine Zeit, in der man über derartige PR lachen konnte. Satire war folgenlos, sie befreite, weil sie selbst in ihrer bissigsten Form nie an die Realität heranreichte.« Satire, die absichtlich hinter der Realität zurückbliebe – wo hätte es die je ­gegeben? Aber der Zeiten-, Paradigmen- und sonstige Wechsel liegt laut Amendt ­anderswo: »Seit die AfD im Bundestag sitzt und deren Sprechweisen den Ton der politischen Debatten und deren Denkweisen den Inhalt der Politik bestimmen (…), bleibt ­einem das Lachen im Halse stecken. Oder, frei nach Tucholsky: Wir müssen lernen zu lachen, ohne dabei zu weinen.« Also lernen, dass Satire evtl. doch irgendwie Relevanz beansprucht? Statt hübsch harmlos neben der Realität einherzublühen?

In ein völlig anderes Horn stößt Michael Winterbauer vom Medienportal »Meedia«, der die Sache »für hoch problematisch« hält und sich sorgt, ob staatspolitische Aufklärung »gelingt, indem man selbst noch mehr News-Satire in die Web-Welt hineingibt«: Es sei zu befürchten, »dass die Medienkompetenz, die nötig wäre, um Wahre Welle TV als Parodie-Kampagne zu erkennen, bei vielen noch gar nicht vorhanden ist«.

Dazu darf ich folgendes festhalten: Wenn man auf die bis zum letzten Dummkopf ­herabgesickerte Medienkompetenz wartet, bevor man sich an Satire wagt, dann kann man sie gleich bleibenlassen. Und wenn man angesichts eines Shoppingkanals, der tragbare Chemtrails für unterwegs ­verscherbeln will, angesichts eines WG-­Gesprächs über Reptiloiden und die Scheibenform der Erde in einer Reality-Soap ­namens »Bielefeld Tag und Nacht« sowie ­angesichts der Show »Such den Sündenbock«, in der ein Arzt einem halbwüchsigen Knaben anstelle von Pubertät »Islamisierung« attestiert – »Verachtung für die deutsche Kultur, starke Behaarung, aggressive Männlichkeit« –, wenn man also selbst ­angesichts derart schulbuchhaft satirischer Methoden Angst hat, die Absicht könnte missverstanden werden, dann traut man dem Publikum schlechterdings gar nichts mehr zu. Oder hegt ein Grundmisstrauen ­gegen Satire überhaupt.

Es ist das alte dumme Lied: Komik, schön und gut, aber wenn es brenzlig wird, sollen alle Guten und Wohlgesinnten die Reihen schließen und bitteschön schleunigst auf­hören mit dem Quatsch. Denn Verwirrung, Uneigentlichkeit und Ambiguität, das nützt doch immer nur dem Feind.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg