Humorkritik | Mai 2017

Mai 2017

»Das war wieder The Joy of Grief, die Wonne der Tränen, die ihm von Kindheit auf in vollem Maße zuteil ward, wenn er auch alle übrigen Freuden des Lebens entbehren mußte. Dies ging so weit, daß er selbst bei komischen Stücken, wenn sie nur einige rührende Szenen enthielten, als z.B. bei der Jagd, mehr weinte als lachte …«
Karl Philipp Moritz, »Anton Reiser«

I’d like to teach the world to laugh

Seit längerem muß ich mit wachsender Grummeligkeit feststellen, daß den jungen Leuten mehr und mehr die Satirefähigkeit verlorengeht. Diesen Befund darf man gern als Mentzsche Altersgrille abtun, zumal er aufgrund der Allgegenwart von Satire verwundern mag. Ich möchte elaborieren: Satire in ihrer modernen Form, nämlich als massentaugliche Wohlfühlpackung, verlangt dem Konsumenten nichts mehr ab. »Extra 3«, »Last Week Tonight« & Co., so unterhaltsam und verdienstvoll sie bisweilen sein mögen, kommen fast gänzlich ohne Überraschungen, ohne Ambivalenz, ohne Brechung daher, geben lieber den Erklär- als den Tanzbären und sind letztlich: nicht satirisch. Daß die Meinungen der Zielgruppe in der Regel bestätigt werden, ist schade: Jene Kompetenzen, die man z.B. einst der Leserschaft meines Hausblattes unterstellen durfte, scheinen nicht mehr gefragt zu sein. Das Jungvolk verfügt nur noch über Beißreflexe, erzürnt sich beispielsweise zu Recht über rassistisches Vokabular, tut dies aber auch, wenn es auf zweiter, dritter Ebene geschieht, etwa in parodistischer Form, um die Sprache des, nun ja, Feindes überhaupt offenzulegen. Context is king, boys’n’girls! möchte ich da rufen.

Anstand und Ideologiebewußtsein werden mit schwindendem Abstraktionsvermögen erkauft, und wenn der wohlmeinende Millennial sich ans Aufspüren von Ungerechtigkeiten macht, zielt er oder sie schon mal daneben, sei’s in bezug auf vermeintliche oder tatsächliche Satiren, sei’s auf ganz und gar unsatirische Produktionen. Vor wenigen Wochen hagelte es weltweit Kritik an der Werbung gleich zweier großer Unternehmen. Kurz bevor Nivea mit dem Slogan »White is purity« für einen Sturm Scheiße sorgte, hatte Pepsi mit einem zweieinhalbminütigen Spot die Gemüter erzürnt, dessen Pointe war, daß das sog. »It-Girl« Kendall Jenner im Rahmen einer Multikulti-Straßendemo die Polizei mit einer Dose Pepsi milde stimmt – sämtlichen »Black Lives Matter«-Ausschreitungen der jüngsten Vergangenheit hohnlachend. Tweets des Inhalts, der geschaßte Pepsi-Werber habe inzwischen bei Nivea eine neue Anstellung gefunden, waren die Folge. Während man aber dem Limonadenfilmchen mit Fug mindestens Volksverdummung, wenn nicht gar Klassismus, Verharmlosung und Kapitalismusverherrlichung nachweisen konnte (schauen Sie sich den Schmus halt auf Youtube an, falls noch nicht geschehen), sollte man angesichts der Nivea-Zeile innehalten und sich fragen: Können die das wirklich so gemeint haben? Die Farbe Weiß als Symbol der Reinheit, das ist doch ein alter Hut, bei dem man nicht nur hierzulande an Figuren wie Schneewittchen oder Meister Proper denken muß.

Wenn aber die werten Rezipientinnen und Rezipienten nicht einmal Fernsehwerbung halbwegs plausibel entschlüsseln können – wie soll es dann je mit Satire funktionieren? Fast möchte ich meinen Frust in Pepsi ersäufen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg