Humorkritik | Mai 2017
Mai 2017
»Das war wieder The Joy of Grief, die Wonne der Tränen, die ihm von Kindheit auf in vollem Maße zuteil ward, wenn er auch alle übrigen Freuden des Lebens entbehren mußte. Dies ging so weit, daß er selbst bei komischen Stücken, wenn sie nur einige rührende Szenen enthielten, als z.B. bei der Jagd, mehr weinte als lachte …«
Karl Philipp Moritz, »Anton Reiser«
Titelträger
Auf der Leipziger Buchmesse wurde dieses Jahr bereits zum vierten Mal der Preis für den »Ungewöhnlichsten Buchtitel des Jahres« vergeben. Ebenfalls bereits zum vierten Mal machte ein Werk das Rennen, dessen Titel als »ungewöhnlichst« zu bezeichnen auf mich sehr ungewöhnlich wirkt. »Hinfallen ist wie Anlehnen, nur später« eignet sich, als harmloser Spaß, zwar hervorragend für eine Sammlung harmloser und spaßiger Texte des auch als Poetry-Slammer erfolgreichen Sebastian 23; der Name des Buchs ist allerdings nicht allzu präzise. Denn wenn man es genau nimmt, fällt auf, daß zum Anlehnen zwingend etwas gehört, woran man sich anlehnt. Fehlt die Lehne, kann man im Grunde nur von einem Versuch sprechen. Und mit »Hinfallen ist wie Anlehnenversuchen, nur später« gewinnt man natürlich keinen Blumentopf.
Schwerer wiegt indes, daß mir der Titel von Sebastian 23 keineswegs über die Maßen ungewöhnlich zu sein scheint – ebensowenig wie die in früheren Jahren ausgezeichneten Werke »Aufgeben ist keine Lösung. Außer bei Paketen« (2015) der beiden Slammer Patrick Salmen und Quichotte sowie »Das Mädchen mit dem Rohr im Ohr und der Junge mit dem Löffel im Hals« (2013) von Poetry-Slam-Star Volker Strübing. Immerhin einigermaßen unkonventionell, aber das leider auf sehr zwanghafte Weise, klingt der »Ungewöhnlichste Buchtitel des Jahres 2014«, nämlich »Wir sind glücklich, unsere Mundwinkel zeigen in die Sternennacht wie bei Angela Merkel, wenn sie einen Handstand macht«. Sie ahnen vielleicht schon, daß der Autor, Thomas Spitzer, mehr als zweihundert Poetry-Slams gewonnen hat.
Bleibt zu hoffen, daß bei der nächsten Wahl endlich einmal ein wirklich extraordinärer Titel gewinnt. Extrem exzeptionell wäre es freilich, wenn dieser nicht von einem Bühnendichter stammte. Denn ganz offensichtlich ist einen Preis zu erhalten manchmal wie slammen. Nur später.