Humorkritik | Januar 2017

Januar 2017

»… was wir Deutschen Humor nennen, die wunderbare, aus der tiefsten Anschauung der Natur geborne Kraft des Gedankens, seinen eignen ironischen Doppeltgänger zu machen, an dessen seltsamliche Faxen er die seinigen und – ich will das freche Wort beibehalten – die Faxen des ganzen Seins hienieden erkennt und sich daran ergetzt …«
E.T.A. Hoffmann

Seltsame Doubletten

Nach dem 12. Biere, so der Dichter, ähneln sich alle Tiere. Auch solche, die miteinander weder verwandt noch verschwippt sind. Verschiedentlich vermerkt wurde der Fall, daß ein nachgerade berühmtes Gedicht von Ror Wolf, »wetterverhältnisse«, auf vier Zeilen eine verblüffende Affinität zu einem thematisch fast kongruenten und allerdings endlosen Poem von Friedrich Rückert (1788–1866) hat.

Wolf (geb. 1932):

»es schneit, dann fällt der regen nieder,
dann schneit es, regnet es und schneit,
dann regnet es die ganze zeit,
es regnet und dann schneit es wieder.«

Rückert:

»Gestern hats geschneiet,
Heute hats geregnet:
Oder hats geregnet
Gestern, heut geschneiet?
Gestern hats geschneiet
Nachts und Tags geregnet,
Heute hats geregnet
Nachts, und Tags geschneiet …«

Usw. Rückerts Hirnstillstand? Telekinese? Geniale Wolf-Vorwegnahme? Oder doch Plagiat? Wolf will das Gedicht im annähernd ultimativen Wortlaut bei einer entsprechend trübseligen Eisenbahnfahrt beigekommen sein. Bliebe noch die Möglichkeit eines mehr unbewußten Langzeitgedächtnisses. Obwohl Ror Wolf bekanntlich alles liest, bloß nicht Rückert? So oder so: Freuen wir uns beider, in beiden Fällen tiefgründenden Werke. Wie auch Karl Valentins »Der Maskenball der Tiere«, der außer vielen brav naheliegenden auch die raren Verse enthält:

»Die Hummel, die Hummel
die schlug die große Trummel« –
»Das Gnu, das Gnu
das hatte schon genu« –
»Der Löwe, der Löwe,
der war maskiert als Göwe«.

Schon das schwerlich überhörbar modellhafte Volks- und Kinderlied »Ein Vogel wollte Hochzeit halten« (Text und Musik: Danny Gürtler, angeblich nach Walther von der Vogelweide) operiert mit ein paar leicht irregulären Reimen:

»Die Lerche, die Lerche, die führt die Braut in die Kerche«.

Und:

»Das Finkelein, das Finkelein, das führt die Braut ins Kämmerlein«.

Alles schwer erotisch. Aber gegen den spektakulär rührenden Reim »Gnu-genu« ist das natürlich noch nichts. Und »Löwe-Göwe« gemahnt zwar an das Morgensternsche Tier, das alles »um des Reimes Willen« tat, dabei allerdings noch konventionellen Sinn hervortrieb: »Wiesel-Kiesel-Bachgeriesel«. »Göwe« ist da viel kühner und scheint’s ohne Vorbild, taxiert man hier nicht die F. W. Bernsteinsche Sammlung von »Schüttelreimen« von 1983; die aber programmatischer, erwartbarer aufmarschiert als der ganz und gar unverhoffte »Göwe« inmitten einer fast endlosen Kolonne durchaus sinnaher Reimpaare.

»Gnu-genu«: Solche Reimsymbiosen aus Schriftdeutsch und Dialekt dürfte es mehrfach geben. Tucholsky: »Wollen/Ollen«. Heine? Ludwig Thoma? Welcher Leser weiß Genaueres?

»Hummel-Trummel«: das hat’s ähnlich vielfach bei Robert Gernhardt: »brommen-kommen«. Und: »Parih-mäh wih«. »Guter-Duter«. »Bausch-ausch«. »Reim-eim«. »Pfingsten« und »geringsten« verreimrühren aus verwandten thematischen Gründen Brecht und Heinz Erhardt. Manche offenen und versteckten poetischen Ähnlichkeiten und Kongruenzen erklären sich, beidseits auf der Hand liegend, gleichsam selber – überraschender für manche wohl die Entdeckung, daß F. W. Bernsteins frühes »Arnold Hau«-Dramolett »Der Sängerkrieg auf der Wartburg« (1966) mutatis mutandis, aber mit fast identischer Poetologie, einen 98 Jahre älteren Paten hatte. Bernstein läßt seinen Sängerkrieger Hugo von Hofmannsthal sehr schön deklinieren:

»er pflüget, pfluoc, pfloge, gepflogen,
er zieget, zouc, zuge, gezogen«

usw., und erntet vom Kampfrichter zu Recht das Lob: »Sehr raffiniert – das Lehrhafte und das Lyrische« seien da artigst unter einem Hut als Dach. Im Prinzip ganz ähnlich erkannte bei Richard Wagner, nicht im »Tannhäuser«, sondern in den »Meistersingern von Nürnberg«, ein Säkulum früher Hans Sachs im Lehrhaften den eigentlichen Kern des Lyrischen; wenn er nämlich Beckmessers Ständchen vor Evas Fenster wegen falscher Akzentuierung unterbricht und den Fehler benennt:

Beckmesser: »Den Tag seh ich erscheinen« (…)

Sachs: schlägt als Merker zweimal den Fehler auf.

Beckmesser: »Treibt Ihr hier Scherz?
Was wär’ nicht gelungen?«

Sachs: »Besser gesungen: ›Da faßt mein Herz sich
einen guten und frischen‹…«

Beckmesser: »Wie sollt’ sich das reimen
auf ›seh ich erscheinen‹?«

Weiß man’s? Das Poetische als das Mißlungene; und zugleich als Poesielehrstunde. Am Ende aber erwirkt vorzüglich es den Hauptreiz, die sommerabendliche Poesie des zweiten »Meistersinger«-Aufzugs. Ehe sich der Prügelchor gleich darauf noch fehlerhafter benimmt.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg