Humorkritik | Oktober 2016

Oktober 2016

»Nicht lachen dürfen heißt eine Sache nicht ernst nehmen müssen. Nur wenn auch Lachen erlaubt ist, kann man gerecht sein.«
Hermann Kant

Satire für Deutschland

»Kein Ziel, keine Agenda, kein Herz«, schreibt Julian Dörr in der SZ und meint damit nicht etwa Donald Trump oder die SPD, sondern die Lieblingsfeuilletonfigur Böhmermann. Dörrs Kritik am kalten »Zyniker auf Ego-Trip«, der nichts aufbaue, sondern nur einreiße, veranschaulicht – freilich unfreiwillig – auf wunderbare Weise die sozialpsychologischen Voraussetzungen für Satire in Deutschland. Während diese in der Rezeption und Kritik andernorts längst als eine etablierte Kunstform unter anderen gilt, muß es hierzulande stets ans Eingemachte gehen: Hinter jedem miefigen »Was darf Satire?« ist schon der Wunsch eines Verbots erkennbar, es tönt nach Begrenzung und Maßregelung, jeder Witz muß sich dem Kollektiv, der Nation, wahlweise dem Unternehmen Aufklärung oder dem, was sich dafür hält, als dienlich erweisen. Noch die kleinste Ambivalenz, die kleinste Uneindeutigkeit – Elemente, ohne die Humor schlicht nicht denkbar ist – müssen mittels Projektion oder moralischer Vereinnahmung getilgt werden. Wenn jemand wie Dörr, stellvertretend für alles, was sich derzeit als Satire-Experte geriert, von dieser »Gegenentwürfe« und »Positionierungen« fordert und wettert, Aufklärung brauche »ein konstruktives Moment«, dann fehlt es ihm wohl an etwas ganz anderem als an Herz. Denn Satire ist ja, halten zu Gnaden, nicht die am Großen und Ganzen mitbauende Trümmerfrau des Herrn Dörr.

Soviel dazu. Wenn Sie allerdings mich fragen – und das tun Sie zweifellos, sonst würden Sie hier nicht so eifrig mitlesen –, so irritiert mich an Böhmermann inzwischen etwas anderes. Geweckt wurde diese meine Irritation im April, als er sich durch Erdoğans Klage, man erinnert sich, weniger in seiner Privatsphäre oder Kunstfreiheit verletzt sah als vielmehr in seinem Deutschsein: Sein getwitterter Hilferuf an Kanzlerwanstchef Altmaier zeugte davon, später auch seine Bestürzung über Merkels öffentliche Bewertung seines Gedichts. Böhmermann fühlte sich von der Kanzlerin »einem nervenkranken Despoten zum Tee serviert«, kurz: von seiner Bundesrepublik verraten.

Wollte ich die Enttäuschung über das liebe Heimatland zunächst als Nebenwirre einer streßbedingten Überforderung abtun, verstärkte sich mein Eindruck in den folgenden Monaten. So sprudelte in einem erst kürzlich erschienen Youtube-Interview die Deutschlandliebe aus Böhmermann heraus, als habe man ihn zu lang geschüttelt: »Bundesrepublik Deutschland ist nicht nazi. Im Herzen weiß jeder, daß die BRD und alles, was heute ist, nichts zu tun hat mit nazi. Und alles, was in die Richtung geht, da gehen überall die Alarmsirenen an.« Angesprochen auf ein mögliches Burkaverbot, fiel ihm nichts Besseres ein, als ausgerechnet Thomas de Mazière zu zitieren: »Ich finde das einen guten Satz: Man sollte nicht alles verbieten, was man scheiße findet.« Alarmsirenen, ja, jetzt höre ich sie auch.

Es folgten Schwärmereien für die innere Sicherheit (»Die Polizei muß das Gewaltmonopol behalten«) und die Bundesrepublik im allgemeinen (»In Deutschland haben wir wahnsinnig viel erreicht mit unserer Geschichte«), bevor er ein befremdliches Verständnis von Kunst und Staat offenbarte: Daß Künstler machen dürften, was sie wollten, sei »natürlich Quatsch«, statt dessen versteht Böhmermann Kunst als Produkt linientreuer Freiheit: »Ich darf mich auf die Grenze der Meinungsfreiheit stellen. Daß ich hier stehe, erlaubt mir die Verfassung unseres Landes.« Es scheint ihn nicht zu irritieren, daß staatstragende Satire stets Kennzeichen autoritärer Systeme ist. Und selbstverständlich war nie einer dieser autoritären Satiriker der Ansicht, in einem autoritären Staat zu leben, sondern in einem »besseren«. Wenn Böhmermann also abermals das »bessere« gegen Dunkeldeutschland ausspielt, liegt dem der Impuls zugrunde, Deutschlands Ruf retten zu wollen. Ihn zu besudeln, das aber wäre sein Job. Fürs Marketing sind schon andere zuständig.

Oft wurde Böhmermann unterstellt, sich als moralische Instanz zu sehen. Ich diagnostiziere eher einen pädagogischen Anfall: Ab einem gewissen Bekanntheitsgrad wandelt sich der freche junge Künstler zum anstrengenden Volkserzieher (ein ähnlicher Fall wäre Daniel Kehlmann). Denkbar ist auch, daß sich Böhmermann an amerikanischem Latenight-Gebaren orientiert, jenem in Jahrhunderten demokratischer Kultur gewachsenen Verfassungspatriotismus, der selbst die schärfsten Kritiker George W. Bushs im Angesicht von 9/11 tränennaß an der Seite der Regierung stehen ließ. Nur: Diesen Verfassungspatriotismus gibt es so nicht bei uns; nicht in einem Land, dem die Menschenrechte mit Fliegerbomben aufgezwungen werden mußten, nicht in einem Land, dessen kompletter Sicherheitsapparat bis zum Hals im NSU-Sumpf steckt. Die Existenz dieses »anderen Deutschlands« dann trotzdem zu behaupten, und sei es mit den lautersten Absichten, ist im besten Fall PR, im schlimmsten Verblendung. Darum ergeht hiermit eine erste, freundschaftliche Verwarnung an Böhmermann, bei der Adaptierung von US-Folklore künftig vorsichtiger zu sein – besonders aber bei der Vermengung von Satire und Patriotismus.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
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