Humorkritik | Oktober 2016

Oktober 2016

»Nicht lachen dürfen heißt eine Sache nicht ernst nehmen müssen. Nur wenn auch Lachen erlaubt ist, kann man gerecht sein.«
Hermann Kant

Farßmanns Erzählungen

Daß Hermann Kant (DDR) auch Satiriker war, hatte ich gar nicht recht vor Augen; aber als er Mitte August gestorben war, mahnte mich eine Halberinnerung, bereits der Ton der berühmten »Aula« sei von der launigen Sorte gewesen, und bewies mir die Prüfung des Nachfolgeromans »Das Impressum«, daß der Klappentext (von 1975) die Formel »Witz und Ironie« nicht zu Unrecht bemüht. Wikipedia wiederum wußte, Kants Erzählung »Bronzezeit« (1986) habe Heiner Müller für »die schärfste DDR-Satire« der damals jüngeren Zeit gehalten; aber nach Lektüre des gleichnamigen Erzählungsbandes wie des Vorgängers »Der dritte Nagel« (1981) muß ich sagen, daß Stilhöhe und Satire nicht immer so gut zusammengehen, wie man denken könnte.

Denn als Stilist ist Kant ohne Fehl, was meint, daß kein falscher Ton in dieser ironischen, die Lust an einer Art Neuklassik transportierenden Prosa ist; genau das aber läßt im schlechtesten Fall das Erzählte blaß und zum Vorwand fürs formal so behende Erzählen werden, das umgekehrt im Maße, wie der Stoff vorm Vortrag die Farbe verliert, zur eitlen Demonstration gerinnt. Dieser Ton, den wir teils auch noch einem Buchhalter und Erzähler-Ich mit dem albern sprechenden Namen »Farßmann« glauben sollen, ist im Wortsinn zuviel des Guten, denn Satire, die gleichsam olympisch (nämlich von oben) erzählt wird, gerät zur Schmunzelware, und Böswillige mögen finden, hier schreibe der Kulturfunktionär Kant, nicht der Schriftsteller.

Kants schlechtere Kurzprosa erinnert an Gisela Elsners Urteil über Thomas Mann als den größten Bewunderer des eigenen Stils, mittels dessen Mann sich, was Elsner durchaus politisch meinte, in die »Unverbindlichkeit der ironischen Distanz« gerettet habe. Inszeniert aber Kant seine Fertigkeit nicht bloß, wird’s gleich berückend: In »Schöne Elise« (1981) berichtet ein kranker Polizist seinem Nachfolger über einen Fall ohne rechten Abschluß. Ein melancholischer Erzähler, eine Geschichte ohne letzten Knoten, und die Satire auf Systemprobleme läuft so mit: das ist mustergültig und wunderschön, über den Tag (und die DDR) hinaus.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
07.05.2024 Köln, Stadthalle Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
07.05.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Kathrin Hartmann