Humorkritik | November 2016

November 2016

»Ich bin froh, daß ich ein humorvoller Mensch bin, sonst würde ich verrückt.«
Wolfgang Bosbach

Ruthless rhymes

Daß ich erst heute, pünktlich zu seinem 80. Todestag, auf den englischen Dichter Harry Graham hinweisen kann, läßt sich nicht entschuldigen, wohl aber erklären: Von Graham, der zu Lebzeiten knapp zwei Dutzend Bücher mit komischen Gedichten veröffentlichte, erschienen postum lediglich eine Neuauflage und ein schmaler Auswahlband. Beide sind nur noch antiquarisch erhältlich. So ist er auch in seiner Heimat mittlerweile fast völlig vergessen, und ich wurde allein deshalb auf ihn aufmerksam, weil die Hälfte seines Werkes dank Retrodigitalisierung im Internet einzusehen ist.

Da die britischen light verse-Autoren jedoch nicht nur zu Kostbarkeiten wie den Savoy Operas beitrugen, sondern auch holpernde Limericks über sprechende Tiere verantworteten, überflog ich die ersten Seiten mit vorsichtiger Skepsis, die bald erleichtertem Staunen wich: Schönste Gebrauchslyrik erwartete mich, satirische Ratgeber, blutige Kindergedichte (»Ruthless Rhymes for Heartless Homes«), Schmähkritik und poetologische Reflektionen, alles technisch sauber und sehr elegant: »The fare that I provide is light, / But don’t, I pray, look down upon it! / Such verse is just as hard to write / As any sentimental sonnet.« Die Mühe allerdings ist den wenigsten Gedichten anzumerken, selbst seitenlange Exkurse über den Mangel an passenden Reimen wirken merkwürdig unangestrengt. Und lehrreich ist die Lektüre überdies, im Band »Baby’s Baedeker« zum Beispiel konnte ich Wissenswertes über den Iren erfahren (»In order to amuse himself / At any time when things are slack, / He takes his gun down from the shelf / And shoots a landlord in the back«), und in »Familiar Faces« aus dem Jahre 1907 erfreute ich mich an bis heute gültigen Versen über die deutsche Polizei: »The German minion of the law / Is stern, inflexible, austere. / His presence fills his friends with awe, / The foreigner with fear. / Your doom is sealed if he should pass / And finds you walking on the grass!«

Zeitgenössische Nachrufe verorteten Graham zwar in der Nonsens-Nachfolge eines Edward Lear, mir aber scheint der Vergleich mit William Schwenck Gilbert angebrachter, da er dessen Hang zu ausschweifenden, drastischen Balladen teilt und sich von ihm manch außergewöhnliche Reim- und Strophenform abgeschaut haben mag. Beispielsweise anapästische Elfzeiler mit regelmäßigen Binnenreimen: die meistert der Dichter ohne Probleme. Wenn er, in »The Cry of the Publisher«, auch noch metamäßig das Vorbeischreiben an den Erwartungen thematisiert: »If you really – if you truly – are a poet, / As you fancy – pray forgive my being terse – / Don’t you think you might occasionally show it / In your verse?« – dann weiß ich, daß es sich bei Harry Graham um einen großen Poeten handelt; truly. Der Rest der Welt wird es ebenfalls lernen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella