Humorkritik | Mai 2016

Mai 2016

»Man verzeihe mir, daß ich im flipprigen Tone eine Streitfrage behandle, von deren Lösung das Wohl Englands und daher vielleicht mittelbar das Wohl der Welt abhängt. Aber eben je wichtiger ein Gegenstand ist, desto lustiger muß man ihn behandeln. Das wissen die Engländer, und daher bietet ihr Parlament auch ein heiteres Schauspiel des unbefangensten Witzes und der witzigsten Unbefangenheit, bei den ernstesten Debatten.«
Heinrich Heine, »Englische Fragmente«

Metasatire, aufgelöst

Es ist alles gesagt zum Komplex Böhmerğan /Erdomann, nur eben noch nicht von allen. Wenn also der Michael Hanfeld von der FAZ in einem seiner böhmermannkritischen Artikel, die die Existenz von so etwas wie einer satirischen Metaebene bestreiten, schreibt, das Objekt seines fortlaufenden Ärgers habe es »wieder einmal geschafft«, daß man »über ihn und seine Sendung ... redet«, dann läßt sich dieses erstaunliche Mit- und Weiterreden Hanfelds über Böhmermann vielleicht als neue Pointe begreifen: Hier will jemand, der das Ernstnehmen »ernsthafter Themen« ernsthaft fordert, den aufmerksamkeitssüchtigen TV-Satiriker bestrafen, indem er ihm wiederholt Aufmerksamkeit widmet. Das ist originell.

Mir schien die Derbheit des ohnehin unter Vorbehalt vorgetragenen Schmähgedichts nur folgerichtig: als Reaktion auf das zahme, wesentlich Tatsachen referierende »Extra3«-Liedchen. Albern hingegen finde ich die Annahme, ein dauergekränktes Potentatenseelchen wie Erdoğan werde zwischen den beiden Texten Unterschiede erkennen, und rührend den Glauben, ihm Kritikfähigkeit und Medienkompetenz beibringen zu können, indem man merkelseits den einen Beitrag verteidigt, den anderen verdammt. Niedliche Nena-Parodie und wüste Sexualinjurie: dem Autokraten ist alles eins, nämlich Majestätsbeleidigung. Nein, nein. Für türkische Präsidenten wird Satire nicht gemacht. Sondern für Satirekonsumenten.

Und für die Verleiher des Grimme-Preises. Zumindest sie scheinen das Wort »Metasatire« zu kennen – denn nichts anderes war auch das jüngst von ihnen gekrönte Falschbekenntnis Böhmermanns (März 2015), er habe den Mittelfinger des weiland griechischen Finanzministers manipuliert. Warum allerdings ausgerechnet diese Metasatire als preiswürdig erachtet wurde, wissen die Götter: Böhmermann behauptete, Jauch und die gesamte Welt mit einer satirischen Aktion hereingelegt zu haben, freute sich, daß ihm geglaubt wurde, und brachte am nächsten Tag zur Kenntnis: Alles nur Bluff! »Was wahr und echt, weiß keiner mehr« (Peter Köhler, »Fake«). Umfassende Verwirrung, ein Gewinn? Daß sich schnell Hunderte Leute finden lassen, die einem noch den größten Unsinn kurzfristig abnehmen (und, natürlich, Hunderte Bezweifler und Andersmeinende), ist als Erkenntnis doch ein wenig matt. Dabei weiß Jan Böhmermann, wie es geht. Man denke nur an das chinesische »Plagiat«, das er Stefan Raab unterjubelte. Hier gab es zwar auch keine tiefere Bedeutung, aber es war wenigstens ein richtiger Streich. Nicht die Vortäuschung eines solchen.

Die Grimme-Jury begründete ihren Entscheid damit, »die deutsche Medienlandschaft« verdanke Böhmermann »einen Moment des Innehaltens« – und auch das stimmt selbstverständlich kein bißchen, wenn man sich an das damals losbrechende Aufregungsgehudel erinnert. Besser wäre es gewesen, die Jury hätte ihre Preisvergabe zurückgezogen und nachträglich als Fake deklariert. Dann hätte sie sich ihren Preis selber verleihen können. Schade, Chance verpaßt!

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hannover, TAK Ella Carina Werner
01.05.2024 Berlin, 1.-Mai-Fest der PARTEI Martin Sonneborn mit Sibylle Berg