Humorkritik | Dezember 2016

Dezember 2016

»… ob nicht alle Satire bis zu einem gewissen Grad die stillschweigende Billigung des Gegenstandes beinhaltet, auf den sie abzielt. Ist nicht Orwells eigenes Buch 1984 in dem Land, das weltweit über die meisten Überwachungskameras pro Einwohner verfügt, fast zu einem offiziellen Text geworden? Und außerhalb von England staunte der österreichische Autor Thomas Bernhard, ebenfalls ein grimmiger Kritiker seines Landes, darüber, wie gierig die Leute seine Kritik aufsogen und wie laut sie ihm dafür applaudierten, daß er sie beschimpfte.«
Tim Parks

Nobel, nobel

Der Schriftsteller Tim Parks macht sich viele Gedanken über das Thema Literatur, und ein Großteil dessen finde ich erhellend bis -heiternd. Von dem schwerbräsigen deutschen Titel seines Essaybandes »Wovon wir sprechen, wenn wir über Bücher sprechen« (Kunstmann, 2016) sollte man sich nicht täuschen lassen: Oft geht es nämlich leicht und locker zu. Parks schreibt über Satire (s.o.), über die Idee eines Literaturkanons: »Was in der Zukunft als Kanon unserer Zeit gelten wird, dürfte sich hauptsächlich guter Werbung, kluger Selbstvermarktung und dem reinen Zufall verdanken«; stellt die nur scheinbar simple Frage, ob gute Bezahlung bessere Texte ermöglichte, und plädiert aus Gründen des Purismus für E-Books: Ihre Machart sei weniger ablenkend als die von Papierbüchern mit ihrem ständigen Geknister, ihrem Buchgeruch und ihren prätentiösen Einbänden, die nur dazu dienen, einen bei der Lektüre in der U-Bahn klug aussehen zu lassen.

Ausgiebig bespöttelt Parks auch die Nobelpreisjury. Deren Mitglieder täuschten einen Überblick über die Literaturen sämtlicher Länder des Planeten vor, den sie selbstverständlich nicht haben können (wer hätte den schon?), weshalb sie auf lokale Literaturlobbyisten angewiesen sind sowie auf englische Übersetzungen, und tun dabei dennoch so, als gäbe es irgendwelche olympischen Maßstäbe, mit denen sich ein zentralaserbaidschanischer Theaterautor mit einem guatemaltekischen Junglyriker vergleichen ließe. Als ideales Nobelpreismaterial konstatiert Parks deshalb »den langweiligen neuen globalen Roman«. Der habe die »Tendenz, alles aus dem Weg zu räumen, was verhindern könnte, international verstanden zu werden«: »Kazuo Ishiguro hat davon gesprochen, wie wichtig es sei, Wortspiele und Anspielungen zu vermeiden, um es dem Übersetzer leichter zu machen. Ich kenne skandinavische Schriftsteller, die mir erzählt haben, daß sie Namen von Protagonisten vermeiden, mit denen sich englische Leser schwertun könnten.«

Auch auf die verwandte Frage, warum so gern Übersetzungen aus dem Englischen und Amerikanischen gelesen würden, hat Parks eine originelle Antwort: Viele Menschen würden »Spaß daran finden«, den Übersetzer »für seine Nachlässigkeit zu kritisieren: Eine Reihe der von mir befragten Leser war überzeugt, es selbst besser zu können, was natürlich ein angenehmer Gedanke ist. Wieder verstärkt die Leseerfahrung die Selbstachtung.« Eine Einsicht, die einem vielleicht künftig manche Übersetzung ersparen hilft. Nicht die von Tim Parks natürlich, aber zum Beispiel die von Jarett Kobeks amerikanischem Supererfolg »Ich hasse dieses Internet«. Die müssen Sie sich, siehe unten, wirklich nicht antun.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Die Bunte zitiert Sie mit der Aussage: »Um zu überleben, muss man gesund sein, und wenn man am gesündesten ist, sieht man einfach auch am jüngsten aus!« Gut, dass Sie diese Erkenntnis an uns weitergeben!

Geht jetzt zur Sicherheit bei jeder neuen Falte, Cellulitedelle und grauen Strähne zum Arzt:

Ihre greise Redaktion der Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
01.05.2024 Berlin, 1.-Mai-Fest der PARTEI Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg