Humorkritik | August 2016

August 2016

My dream in life is to write the one gag that makes everyone in the world laugh.
Jim Davis

In der Fremde

Die dem westlich geprägten Menschen fremdeste Kultur ist möglicherweise die chinesische. »Das ganz Andere« hat sie der französische Philosoph und Sinologe François Jullien einmal genannt, und die Reaktionen auf dieses Fremde sind bekanntlich höchst unterschiedlich: Abwehr, Erschrecken, Ekel, Unverständnis, aber natürlich auch Amüsement und Lachen. Auf letzteres zielt der Hamburger Zeichner Sascha Hommer, der zweimal China besucht und sich dabei hauptsächlich in Sichuans Hauptstadt Chengdu aufgehalten hat. Das Ergebnis ist der 176 Seiten starke Comic »In China« (Reprodukt, 2016).

Um die Fremdheit der Umgebung zu unterstreichen, inszeniert Hommer seine Geschichte wie einen Traum: Die Hauptfigur trägt – ähnlich wie in Schnitzlers »Traumnovelle« – die ganze Zeit über verschiedene Masken, während die Gesichter der westlichen Bewohner Chengdus surrealistischen Portraits ähneln. Nur die Gesichtszüge der bloß als Staffage vorkommenden Chinesen sehen halbwegs realistisch aus – zumindest für Comic-Figuren. Ganz wie im Traum taumelt auch Hommers Protagonist, der ebenfalls Sascha heißt, durch Chengdu, und er begegnet dabei verschiedenen Aspekten des Fremden und Erschreckenden: Ratten und Kakerlaken kommen geradezu leitmotivisch vor, dazu gesellen sich Menschenmassen, eine komplett unverständliche Sprache, seltsame chinesische Gewohnheiten, ungewohntes Essen, chaotischer Straßenverkehr und verdreckte Luft.

Natürlich erlebt Sascha auch Lustiges. Vor allem Karl, der alteingesessene deutsche Freund der Hauptfigur, ist in seinem für einen Expatriate typischen Erklärungsdrang eine permanente Quelle subtiler Komik. Ich jedenfalls mußte bei einem Dialog sehr lachen, der damit eröffnet wird, daß Karl behauptet, Musik- und Kunstveranstaltungen gäbe es in Chengdu etwa so viele wie in einer deutschen Kleinstadt. Als Sascha nachfragt: »So wie in Freiburg etwa?«, korrigiert Karl gewissenhaft: »Nein, eher wie in Tübingen.« Auch die Szenen, in denen die Hauptfigur in einem Tonstudio Werbetexte in astreinem Stilblütendeutsch einspricht (»Changshu ist als Paradies für Karriere und Lebensfreude seit langem in aller Munde«), sind amüsant.

Was die Lektüre von »In China« besonders angenehm macht, ist der Umstand, daß der Autor sich eines Kommentars zu Chengdu, China und »den« Chinesen weitgehend enthält, und das, was er akribisch protokolliert, nicht bewertet. Andreas Platthaus hat gerade das in seinem Blog bemängelt. Offenbar hat er nicht verstanden, daß es Hommer nicht darum geht, darzustellen, wie China wirklich »ist«, sondern darum, wie man sich in China fühlt, speziell als westlicher Fremder. Ich meine, das ist ihm gelungen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
08.05.2024 Wiesbaden, Schlachthof Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
09.05.2024 Zürich, Friedhof Forum Thomas Gsella
09.05.2024 München, Volkstheater Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
10.05.2024 Weil am Rhein, Kulturzentrum Kesselhaus Thomas Gsella