Humorkritik | August 2016

August 2016

My dream in life is to write the one gag that makes everyone in the world laugh.
Jim Davis

Boris

Seit dem erfolgreichen Brexit-Referendum wird in der deutschen Presse über Boris Johnson geredet, als wäre er ein Polit-Hooligan vom Schlage eines Donald Trump oder Nigel Farage. Das trifft es aber nicht ganz, denn anders als jene Herren verfügt Johnson über einigen intelligenten Witz und hat im Jahr 2004 einen satirischen Roman verfaßt, der 2012 unter dem Titel »72 Jungfrauen« auf deutsch erschienen ist (Haffmans & Tolkemitt) – und der mir weiland gar nicht schlecht gefiel. Sein Protagonist, der charakterschwache und gleichwohl exzentrische konservative Parlamentsabgeordnete Barlow, den Johnson deutlich als Alter Ego angelegt hat, stolpert darin im Laufe eines Vormittags ins Zentrum einer terroristischen Verschwörung: Einem Grüppchen pakistanischstämmiger Islamisten, allesamt Superversager und Riesentrottel, gelingt es anläßlich eines Staatsbesuchs des amerikanischen Präsidenten, das britische Unterhaus zu stürmen und vor den Augen der Weltöffentlichkeit ein Tribunal gegen die Politik der USA zu erzwingen. Die Satire, die im Tonfall etwa Tom Sharpes verfaßt ist und in der die idiotische Gedankenwelt der jungen Dschihadisten mit genausoviel Spott bedacht wird wie das britische Wohlfahrtssystem, der George W. Bush nachmodellierte US-Präsident oder die Rituale der Medien und der parlamentarischen Demokratie, ist trotz einiger Längen unterhaltsam geraten, stellenweise sehr lustig, manchmal indes so turbulent und effekthaschend, daß es fast schon wieder langweilig wird.

Interessanter erschien mir beim erneuten Durchblättern daher, wie Johnson seine Hauptfigur charakterisiert: »Für einen Mann wie Roger Barlow war die ganze Welt ein Witz, ein zufälliges Durcheinander kosmischer Zutaten. Für Barlow stand immer alles zur Disposition: Religion, Gesetze, Prinzipien, Bräuche – all dies waren nur Stöcke, die man schwankenden Schritts vom Straßenrand pflückte, um sich zu stützen.« Mit solch offenherzigen Bekenntnissen zum eigenen Zynismus und zur planmäßigen Vermischung von Fakten und Fiktionen kann man offenbar auch in der Wirklichkeit zum Publikumsliebling avancieren, Kampagnen gewinnen und in Ministerien aufrücken. Ob das nun gegen den komischen Agitator Johnson spricht oder eher gegen die postdemokratischen Zustände, in denen jemand wie er Erfolg haben kann, das vermag ich nicht zu entscheiden.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Gott sei dank, »Focus«!

Du schreibst: »Fleischkonsum sinkt, Mitarbeiter fehlen. Fachkräftemangel trifft die Wursttheke«. Aber sieh es doch mal positiv, lieber Focus: Es wäre doch viel schlimmer, wenn aufgrund des hohen Fleischkonsums die Mitarbeiter/innen verschwinden würden …

Grüße aus der Fleet Street schickt Titanic

 Ho ho ho, Venezuelas Präsident Nicolás Maduro!

Ho ho ho, Venezuelas Präsident Nicolás Maduro!

Mitten im Streit um das wohl von Ihnen manipulierte Wahlergebnis bei der Präsidentschaftswahl haben Sie wieder einmal tief in die politische Trickkiste gegriffen: »Es ist September, und es riecht schon nach Weihnachten«, frohlockten Sie in einer Fernsehansprache. »Als Dank an das kämpferische Volk werde ich daher Weihnachten per Dekret auf den 1. Oktober vorziehen.«

Wir haben sogar eine noch bessere Idee, Maduro: Könnten Sie nicht per Dekret Weihnachten von Anfang Oktober bis Ende Dezember stattfinden lassen? Im Gegensatz zum Kanzler in seinem kapitalistischen Schweinesystem können Sie doch sicher bestimmen, dass die planwirtschaftliche Lebkuchen-Vanillekipferl-Produktion schon im Juni anläuft. So können Sie sich nicht nur ein paar Tage, sondern ganze drei Monate Ruhe zum Fest schenken!

Rät Titanic

 Priwjet, Roderich Kiesewetter!

Priwjet, Roderich Kiesewetter!

»Die AfD ist nicht besser oder schlechter als das BSW. Beide sind Kinder derselben russischen Mutter«, sagten Sie der FAS.

Da haben wir aber einige Nachfragen: Wer sind denn die Väter? Hitler und Stalin? Oder doch in beiden Fällen Putin? Und wenn BSW und AfD dieselbe Mutter haben: Weshalb ist der Altersunterschied zwischen den beiden so groß? War die Schwangerschaft mit dem BSW etwa eine Risikoschwangerschaft? Und warum sollte es keine Qualitätsunterschiede zwischen den Parteien geben, nur weil sie die gleiche Mutter haben? Vielleicht hat Russland ja sogar ein Lieblingskind? Können Sie da bitte noch mal recherchieren und dann auf uns zurückkommen?

Fragt die Mutter der Satire Titanic

 Bitte schön, Annika Stechemesser!

Sie sind Klimaforscherin in Potsdam, wurden in der Frankfurter Rundschau am Tag nach den brisanten Landtagswahlen zum Thema »effektiver Klimaschutz« interviewt, und da wir heute auf keinen Fall Witze mit Namen machen wollen, lassen wir das einfach mal so stechen, äh, stehen!

Ganz lieb grüßt Ihre Titanic

 Sie wiederum, André Berghegger,

haben als Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes nach dem Einsturz der Dresdner Carolabrücke eine »Investitionsoffensive für die Infrastruktur« gefordert, da viele Brücken in Deutschland marode seien. Diese Sanierung könnten jedoch Städte und Gemeinden »aus eigener Kraft kaum tragen«, ergänzten Sie. Mit anderen Worten: Es braucht eine Art Brückenfinanzierung?

Fragt Ihre Expertin für mehr oder weniger tragende Pointen Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Unangenehm

Auch im Darkroom gilt: Der Letzte macht das Licht aus.

Sebastian Maschuw

 Quo vadis, Fortschritt?

Unfassbar: Nach so vielen Jahren des Horrorfilms gruseln sich die Leute noch vor der Nosferatu-Spinne. Wann taucht in unseren Breiten endlich die Slasher- oder Zombie-Spinne auf?!

Mark-Stefan Tietze

 Aus der militärgeschichtlichen Forschung

Feldjäger sind auch nur Sammler.

Daniel Sibbe

 Obacht!

Die Ankündigung von Mautgebühren ist furchterregend, aber so richtig Gänsehaut bekomme ich immer erst, wenn bei Google Maps als »Warnhinweis« auftaucht: »Diese Route verläuft durch Österreich.«

Norbert Behr

 Jeder kennt ihn

Die Romantrilogie auf der Geburtstagsfeier, das Raclettegerät auf der Taufe, die Gartenfräse zur Beerdigung: Ich bin der Typ in deinem Bekanntenkreis, der dir geliehene Sachen in den unmöglichsten Situationen zurückgibt.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

Titanic unterwegs
15.10.2024 Tuttlingen, Stadthalle Hauck & Bauer und Thomas Gsella
16.10.2024 München, Volkstheater Moritz Hürtgen mit Max Kersting und Maria Muhar
16.10.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
16.10.2024 Frankfurt, Buchmesse TITANIC auf der Frankfurter Buchmesse