Humorkritik | Mai 2015

Mai 2015

»Ich hab früher auch viel mit Humor zu tun gehabt.«
Heino

Ein Badehäuschen auf der Nase

Manches aus der Antike hat sich erhalten, das noch heute amüsant zu lesen ist, doch im christlich verpesteten Mittelalter verlernte der Mensch das Lachen. Jahrhundertelang wurde nichts Spaßiges niedergeschrieben, lustiger Unsinn schon gar nicht, und erst im 12., 13. Säkulum änderte sich das langsam.

Indes: Lustiger Unsinn – was heißt das? Das, was Horst Brunner im Reclam-Bändchen »Von achtzehn Wachteln und dem Finkenritter. Deutsche Unsinnsdichtung des Mittelalters« aus dem 13. bis 16. Jahrhundert in Original und Übersetzung versammelt hat, ist bloß Lügendichtung und fast durchweg dieselbe Leier: Der Sack trägt den Esel zur Mühle, Kirchglocken sind aus Leder, eine Mähre wird zum Fohlen und ein Mühlstein schwimmt übers Meer, fertig ist ein nach dem simplen Schema der Umkehrung oder dem einfachen Prinzip des empirisch Unmöglichen gestrickter Text. Um das komisch zu finden, muß man schon viel Humor haben; oder ein Kind sein, das Realität erst lernen muß. Woraus zu folgern wäre, daß die Leut’ im Mittelalter ziemliche Kinder waren – und wirklich: die Lügengedichte und -geschichten dienten dazu, über den Umweg einer verkehrten Welt sich der richtigen, objektiven zu vergewissern und an ihr Freude zu empfinden. Die christlich verhunzten Sinne, die im Wirklichen alleweil religiöse Symbole entdecken mußten und mit Wundererzählungen aus dem Leben der Heiligen traktiert wurden, öffneten sich endlich, Realismus und Vernunft fuhren wieder in die Leute.

Womit ich Sie, liebe Germanisten, auch schon genug mit Theorie gestopft habe und den »Finkenritter« erwähne, um dessentwillen sich dieses Bändchen wohl doch lohnt. Diese um 1560 erschienene Nonsenserzählung ist eine Satire auf die abgelebte Ritterzeit, parodiert die damaligen phantastischen Reiseberichte aus fernen Ländern und ist vor allem wild zusammengenagelter komischer Quatsch. Geschildert wird die Lebensreise eines Ritters 250 Jahre vor seiner Geburt, wobei der leider anonyme Verfasser in affenartiger Geschwindigkeit eine Albernheit an die andere reiht. »Ich nahm den Weg auf die Schulter«, beginnt der Finkenritter eine Tagesreise, »den Spieß unter die Füße, ließ mir die Hemdfalten auf den Rücken machen, band meinen Degen an die Milz und zog über das weite Feld. Das war mir lieber als kein Zehrgeld.« Er begegnet einem Mann, »der hatte ein mit Schindeln gedecktes Bärtchen« und »ein Badehäuschen auf der Nase. Er hinkte an einem Ohr und stammelte an einem Ellbogen«; und apropos stammeln: Modernerweise mißlingt dem Rittersmann neben allem anderen jede Kommunikation. So verirrt er sich in einem baumlosen Wald und trifft einen Köhler, »der brannte Tannenzapfen, aus denen Leberwürste wurden, die wollte er auf den sauren Käsmarkt nach Weihnachten bringen. Ich fragte den Köhler, ob ich hin und zurück richtig ginge. Darauf sagte er: ›Nicht sehr, lieber Freund, ich beschneide da Weiden.‹ Ich fragte weiter, ob das die richtige Straße sei. Er antwortete: ›Die roten sind wirklich die besten!‹«

Die Abenteuer des Finkenritters sind jedenfalls die besten in diesem Büchlein.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner