Humorkritik | Juli 2015

Juli 2015

»So berührte er die beiden Pistolen in seinen Taschen; es blitzte in seinen scharfen grauen Augen plötzlich auf, und er brach in ein unbändiges Gelächter aus, wie er seit Dezennien nicht mehr gelacht hatte, in ein wahres Schulbubengelächter.«
Conrad Ferdinand Meyer, »Der Schuß von der Kanzel«

Die Sonntagsfahrer

Was Jan Böhmermann und Olli Schulz in ihrer sonntäglichen Radiosendung »Sanft & Sorgfältig« (»Radioeins«) vortragen, ist zum einen Impro-Comedy, zum anderen ein persönlich gefärbter Wochenrückblick; alles unter einem Motto, das die Macher meist schon nach einer Viertelstunde nicht mehr interessiert. Naturgemäß schwanken die Gags. Manchmal gibt es hübsche Einfälle, etwa, wenn spontan die Bösebrücke, der ehemalige Grenzübergang zwischen den Berliner Bezirken Wedding (West, viel Migration) und Prenzlauer Berg (Ost, viel Gentrifizierung) auf den Namen »Checkpoint Ali« umgetauft wird.

Nun gilt Böhmermann mit seiner Fernsehsendung »Neo Magazin Royale« als einer derjenigen, die beim ZDF Hoffnung wecken: auf ein Publikum jenseits der herrschenden greisen Kernzielgruppe. Allerdings machen Beiträge, die als Youtube-Clips gut aussehen, noch kein gutes Format; auch leidet das »Neo Magazin Royale« darunter, daß Jan Böhmermann als Interviewer nicht halb so gut ist wie als Parodist. Eine Radiosendung wie »Sanft & Sorgfältig« könnte da eine schöne Spielwiese sein, um fürs TV zu einem Stil zu finden, damit nicht immer alles so aussieht wie eine lokalisierte Version der Shows der beiden Jimmys (Kimmel & Fallon).

Böhmermanns Problem, zumindest im Radio, scheint mir sein Spielwiesenmitspieler Olli Schulz zu sein. Daß jemand auch nach Jahrzehnten Bühnenpräsenz nicht gelernt hat, in ein Mikrofon zu sprechen, ohne es anzuatmen, mag noch als charmanter Dilettantismus durchgehen; aber wenn Schulz sich in einer Sendung als Lesewurm und Bücherratte präsentiert, sprachlich riskant über Max Frisch plaudert und dabei nicht mal die Flexion im Imperativ beherrscht (also immer wieder »Les, Jan!« fordert anstatt »Lies, Jan!«), dann ist das schon ein wenig peinlich. Auf Youtube, in seiner Kommentare-Kommentier-Show, macht sich der Jan immer wieder über die sprachlichen Unzulänglichkeiten seiner Hater lustig – seinen Radio-Co-Moderator, den Olli, muß er mit solchen Vorwürfen verschonen. Problematisch ist auch, daß Olli Schulz sich selten auf die Sendung vorzubereiten scheint und dann in Obszönitäten und Anekdoten flüchtet, weil er von den meisten aktuellen Themen wenig Ahnung hat. Da steht Böhmermann dann ohne Sparringspartner da, und die Sendung verliert an Substanz und Witz. Schade. »Sanft & Sorgfältig« könnte doppelt so gut sein.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Die Bunte zitiert Sie mit der Aussage: »Um zu überleben, muss man gesund sein, und wenn man am gesündesten ist, sieht man einfach auch am jüngsten aus!« Gut, dass Sie diese Erkenntnis an uns weitergeben!

Geht jetzt zur Sicherheit bei jeder neuen Falte, Cellulitedelle und grauen Strähne zum Arzt:

Ihre greise Redaktion der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg