Humorkritik | Juli 2015

Juli 2015

»So berührte er die beiden Pistolen in seinen Taschen; es blitzte in seinen scharfen grauen Augen plötzlich auf, und er brach in ein unbändiges Gelächter aus, wie er seit Dezennien nicht mehr gelacht hatte, in ein wahres Schulbubengelächter.«
Conrad Ferdinand Meyer, »Der Schuß von der Kanzel«

Schluß, mit lustig

Es ist die Zeit der Abschiede in der amerikanischen Spätunterhaltung. Stephen Colbert hat seinen »Colbert Report« beendet, um den in Rente gehenden Letterman zu beerben, Craig Ferguson hat die »Late Late Show« verlassen, und Jon Stewart gibt im Sommer die Moderation der ungemein einflußreichen »Daily Show« ab. Alte weiße Männer gehen, und immerhin in einem Fall kommt kein jüngerer weißer Mann nach: Der Südafrikaner Trevor Noah folgt Stewart.

Für den Komikschaffenden ist das Ende naturgemäß von besonderer Bedeutung, muß er doch, will er das Publikum nicht gleichgültig entlassen, entweder eine Pointe präsentieren oder sie spektakulär verweigern. Wenn man, wie David Letterman, nach über drei Jahrzehnten eine Late-Night-Karriere beendet, ist es schwierig, noch einen draufzusetzen. Erst recht, wenn man wie er das Format in alle Richtungen ausgedehnt und durchgespielt hat. Er hätte sich staatstragend verabschieden können, wie sein großes Idol Johnny Carson, der Urvater aller Late-Night-Shows; oder sentimental, wie sein ewiger Rivale Jay Leno – also als Pointe zum Schluß ausnahmsweise mal Ernst machen können. Auch hätte er, wie Harald Schmidt mehrmals, bewußt jeden Kommentar zum besonderen Umstand verweigern können, was aber bei Letterman nach 33 Jahren wirkungsreicher Fernsehpräsenz vermutlich albern gewirkt hätte. Er hätte auch die große, mit Stars gespickte Musikeinlage wählen können, wie Stephen Colbert, entschied sich aber für ein Mittelding – und erzeugte trotzdem keine Gleichgültigkeit: Denn Lettermans Nüchternheit erlaubte es, die Luft aus dem Bohei um seine Person zu nehmen (»Hebt euch etwas für mein Begräbnis auf!«) und die obligatorischen Danksagungen nicht unangenehm weinerlich werden zu lassen. So zeigten die letzten Sendungen noch einmal, wie gut es Letterman gelungen ist, sich trotz all seiner Prominenz angemessen unwohl in seiner Rolle und im Showgeschäft zu fühlen. Als nach Tom Hanks’ Auftritt bereits die Abgangmusik spielte, fragte Hanks Letterman: »Wir bleiben doch in Kontakt, oder?«, was Letterman mit einem gütigen Lächeln quittierte. Und während seiner Verabschiedung, einem vermeintlich fernsehhistorischen Moment, tat Letterman noch seinem elfjährigen Sohn den Gefallen, dessen mitgebrachten Kumpel dem jubelnden Publikum vorzustellen – weil das kleine Glück des Sohnes schlußendlich wichtiger ist als die große nationale Geste. Daß alles, auch jahrzehntelanges Late-Night-Moderieren, eben auch nur ein Job ist, und ein gut zu Ende zu bringender, war sicherlich nicht die schlechteste Pointe oder falscheste Einstellung in einem Geschäft voll eitler Egomanen (nicht daß er keiner wäre; aber einer mit Selbstdistanz).

Schöner verabschiedet hat sich nur, weil weniger mit Bedeutung ringend, vor ein paar Monaten Craig Ferguson. Er führte seine überdrehte Dekonstruktion der Late-Night-Konventionen (siehe TITANIC 6/2014) konsequent zu Ende, indem er gleich mehrere berühmte Serienabschlüsse verband und seine Late-Late-Zeit als den heiteren Alptraum ausstellte, die sie für ihn wohl war. Ob es der allseits beliebte John Stewart noch besser machen wird? Mal sehen. Jetzt bin ich aber am Ende dieser Humorkritik angelangt und möchte die Gelegenheit nutzen, um mich bei allen Beteiligten zu bedanken: bei meinen Redakteuren, den Grafikern, bei meinem Laptop …

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg