Humorkritik | Januar 2014

Januar 2014

Bedeutende Humorprobleme

Kein Fühlender wird es mir verdenken, wenn Komplimente wie das folgende mein alterndes Herz erwärmen: »Auf dem Gebiet der humorvollen Kunst ist die sachverständige Kritik leider weitgehend abwesend. Außer der von Robert Gernhardt und Eckhard Henscheid initiierten und über lange Zeit mitgestalteten Humorkritik in der TITANIC findet sich nichts Vergleichbares im deutschsprachigen Raum.« (Die unmittelbar folgende These »Und auch dort sieht man sich, den Vorlieben der jungen Leserschaft des Blattes folgend, mittlerweile nur noch in Ausnahmefällen für Kunst und Literatur zuständig« lasse ich hier unkommentiert im humor- bzw. TITANIC-kritischen Raum stehen.)

Um so heikler ist es für mich, daß ich dieses Lob, das Jakob Hein und Jürgen Witte in ihrem Werk »Deutsche und Humor. Geschichte einer Feindschaft« (Galiani) dem meinen zollen, nicht mit ähnlicher Münze retournieren kann. Strotzt doch ihr Buch von Sätzen (wie sie es hier bei »zerstreuten Professoren« monieren), »denen erst die Grammatik und schließlich auch schon mal der Sinnzusammenhang vollständig abhandenkommt«: »Die Beziehung von Spaß, Fröhlichkeit und Humor ist vergleichbar mit der Beziehung von Restaurants, Kellnern und Essen. In den meisten Restaurants bedient uns ein Kellner, und so haben Spaß und Fröhlichkeit viel miteinander zu tun.« Was, um Himmels willen, soll so etwas bedeuten? Und was habe ich unter der kryptischen Formulierung zu verstehen, daß »der humorvolle Ausdruck die Fortsetzung des Dschungelgesetzes im Abstrakten sein kann«? Was unter einem »Meckern wider die Realität«? Wer genau sind die obskuren »Gegner des Humors«, von denen oft die Rede ist? Und warum wird der Humor »immer häufiger von den meisten Menschen eingesetzt«? »Humor ist die bewußte Hinwendung des Geistes zu den Fesseln der Realität«. Was heißt denn das nun schon wieder? Und ich bin erst auf Seite 33…

Was für ein Ausbund an Ungeschicklichkeit, Flüchtigkeit, Ahnungslosigkeit. »Humor ist also im Gegensatz zum Ernst immer eine geistige Leistung«. So etwas zu behaupten ist freilich keine geistige Leistung, sondern blanker Unsinn. Und so geht’s dann fort und fort. Das Unheil fängt damit an, daß, was natürlich unerläßlich ist, die Begriffe nicht geklärt werden, gibt es doch »ein bedeutendes Problem des Humors: Man kann ihn nicht erklären! Womöglich ist der Humor der dialektische Widerpart dessen, was sich erklären läßt, jener anderen, fast universalen menschlichen Eigenschaft.« Nämlich welcher?

Zwar wird dann irgendwann der o. g. Gernhardt zitiert (»Humor hat man – Komik macht oder entdeckt man«), verstanden aber nicht. Denn: »Humor ist keine Gattung, sondern eine Haltung, eine Vielzahl von Methoden wie Satire, Zynismus, Clownerie usw.« Was denn nun: Haltung? Methode? Oder am Ende vielleicht doch Gattung? Und was für eine Methode wäre denn Zynismus?

Hein/Witte gehen nicht methodisch vor und verstehen unter Humor mal dies, mal das, in der Regel Witz, im Sinne des auf Lacher abzielenden Witzes. Da kann dann der »echt komische Mensch« schon mal »in einem sardonischen Zwiegespräch mit sich selbst bittere Witze über den Angreifer auf seine Komik machen«. Ein Zwiegespräch mit sich selbst! Und dann auch noch ein sardonisches! Schon lustig.

Natürlich kann man den Humor erklären (und klar ausdrücken kann man sich auch). Was hingegen nicht zu erklären ist: wie ein derart mißlungenes Buch das Lektorat passieren und im Programm eines sonst so feinen Verlags wie Galiani erscheinen konnte.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hannover, TAK Ella Carina Werner
01.05.2024 Berlin, 1.-Mai-Fest der PARTEI Martin Sonneborn mit Sibylle Berg