Humorkritik | Oktober 2012

Oktober 2012

O’Shannons komische Theorie

Eine sichere Methode, mit der man Freizeit- wie Berufskomikern die Laune augenblicklich verhageln kann: Man spreche sie auf Komiktheorien an. Denn so viele unterschiedliche Erklärmodelle des Witzes es auch geben mag, keine stimmt so ganz. Seien es philosophische Theorien wie die von Schopenhauer, seien es psychologische wie die Freudsche von der Einsparung eines psychischen Aufwands – keine dieser Theorien taugt wirklich, um das Phänomen der Komik plausibel zu erklären. Warum etwa ist derselbe Witz einmal gut und einmal schlecht, wenn ihn zwei verschiedene Menschen vortragen? Warum empfindet der eine etwas als urkomisch, was den anderen empört? Und was ist denn nun eigentlich komisch?

Vielleicht kranken viele Komiktheorien ja daran, daß sie sämtlich von Theoretikern stammen. Nun aber hat ein Handwerker der Comedy ein Handbuch geschrieben, das das Zeug zum Standardwerk hat: »What Are You Laughing At?« (Continuum Books) von Dan O’Shannon, einem langjährigen Autor und Produzenten u.a. von »Cheers«, »Frasier« und »Modern Family«. Er entwickelt auf knapp dreihundert Seiten eine komische Systemtheorie, die im Grunde ein Kommunikationsmodell ist – aber ein enorm detailliertes.

Das beginnt damit, daß der Kontext eines Witzes hier mindestens genauso wichtig ist wie der Witz selbst. Sind doch vor die Rezeption schon etliche Filter geschaltet: von der (sozialen, mentalen, gesundheitlichen) Verfassung des Empfängers über seine bereits vorher bestehenden Gefühle gegenüber der Quelle eines Scherzes bis hin zur Art der Kommunikation, die uns womöglich denselben Scherz komisch erscheinen läßt, wenn ein Arbeitskollege ihn vorträgt, in einer Hollywoodkomödie aber nicht. Dieser Kontextfrage widmet O’Shannon den kompletten ersten Teil seines dreiteiligen Buches. Weiß man etwa, daß der Typ am Kneipentisch Berufskomiker ist, kann es die Wirkung eines erzählten Witzes sogar mindern, weil man vielleicht ahnt: Da will jemand nur sein neues Material ausprobieren – es geht ihm gar nicht darum, mich persönlich zu unterhalten.

Beispiele wie diese machen die Lektüre von »What Are You Laughing At?« wesentlich kurzweiliger als andere wissenschaftliche Bücher zum Thema. Sehr erhellend ist auch eine Anekdote, die belegt, wie wichtig es für Komik ist, den Rahmen zu kennen, innerhalb dessen man gerade lacht. Da berichtet O’Shannon von einer merkwürdigen Publikumsreaktion während einer Sitcom-Aufzeichnung der »Mary Tyler Moore Show«: Mary und ihr Boß Lou, langjährige Arbeitskollegen, beschließen ein Date. Doch das verläuft weniger romantisch als peinlich, vor allem, als sie sich küssen wollen und sich einander zuneigen – aber lachen müssen, weil ihnen bewußt wird, wie albern es ist, aus einer Freundschaft mehr machen zu wollen, als sie ist. Das Publikum kreischt zunächst vor Lachen – um dann schnell zu verstummen.

Eigentümlich und unbefriedigend sei diese Reaktion gewesen, so O’Shannon, und ihm erst viele Jahre später ein weiteres Mal begegnet, nämlich bei »Cheers«. Dort hat er dem (extrem phlegmatischen) Norm ins Drehbuch geschrieben, daß er, Norm, zunächst mit ernstem Gesicht erzählt, er wolle nun sein Leben in die Hand nehmen und sich einen Job suchen – um sich aber prompt das Lachen nicht verkneifen zu können, denn natürlich hat er die anderen »Cheers«-Kneipenhocker nur zum besten gehalten. Auch hier, so der Autor weiter, habe das Studiopublikum erst laut gelacht, sei aber abrupt verstummt – und da sei ihm klar geworden, warum: In beiden Fällen hatten die Zuschauer gemeint, Zeugen eines »Bloopers« zu werden, bei dem die Schauspieler ihren Text vergessen oder lachen müssen, jedenfalls aus der Rolle fallen, was das Studiopublikum stets besonders lustig findet. Weil aber die Szene ganz nach Buch weiterging und das Publikum seinen Fehler schnell bemerkte, brach das Gelächter ab; niemand wollte den Fortgang der Szene verpassen.

So leicht verständlich schreibt O’Shannon auch jenseits der anekdotischen Einschübe, so daß einem die vielen Schaubilder zunächst albern vorkommen. Doch je weiter man sich durch seinen »Comprehensive Guide to the Comedic Event« arbeitet, desto komplexer werden auch die Theorien. Da bedauere ich schon jetzt mal vorsorglich, daß sich wohl kein deutscher Verlag finden wird, diese künftige Bibel der Humortheorie auch adäquat übersetzen zu lassen. Doch lohnt sich der Import für alle, die sich für Theorie und Praxis der Komik interessieren. Eines allerdings, so warnt O’Shannon selbst schon zu Beginn des Buches, lernt man aus »What Are You Laughing At?« sicher nicht: wie man einen guten Witz macht. Man kann zwar den Bauplan eines guten Witzes studieren – reverse engineering funktioniert bei der Komikproduktion aber leider nicht.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Die Bunte zitiert Sie mit der Aussage: »Um zu überleben, muss man gesund sein, und wenn man am gesündesten ist, sieht man einfach auch am jüngsten aus!« Gut, dass Sie diese Erkenntnis an uns weitergeben!

Geht jetzt zur Sicherheit bei jeder neuen Falte, Cellulitedelle und grauen Strähne zum Arzt:

Ihre greise Redaktion der Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg