Humorkritik | August 2012

August 2012

Kraus contra Werfel

Karl Kraus hatte zahlreiche Zeitgenossen, die ihn als Polemiker und Satiriker vergötterten, bis er sie einmal selbst zum Objekt seiner Polemik oder seiner Satire erkor und ihnen dadurch zu der jähen Einsicht verhalf, daß sie ihn maßlos überschätzt hatten. Am deutlichsten gestaltete sich dieser Gesinnungswandel im Falle des Dichters Franz Werfel.

Er halte sich nicht für befugt, schrieb dieser 1913, etwas Essayistisches über Kraus zu verfassen, denn dahinter »stünde gebieterisch und unverrückbar die Stunde, die meinen Planeten an den seinen bindet«. Sieben Jahre später jedoch charakterisierte Werfel sein einstiges Idol als selbstverliebten, närrischen und ehrlosen »Fürzefänger«. In der Zwischenzeit hatte Werfel gehässigen Klatsch über eine von Kraus geliebte Frau verbreitet. Daran, wie auch an Werfels Tätigkeit im »Kriegspressequartier«, hatte Kraus Anstoß genommen. Nachdem alle Versuche, sich bei Kraus wieder einzuschmeicheln, gescheitert waren, holte Werfel zu unbeholfenen publizistischen Gegenschlägen aus, mit denen er freilich nur seine eigene Dummheit enthüllte. Und während er sich immer wüster in seine Privatwut hineinsteigerte, eröffnete er Kraus die Möglichkeit, diese Wut als kulturelles Krankheitssymptom zu beschreiben.

»Karl Kraus – Franz Werfel« heißt ein von Christian Wagenknecht und Eva Willms im Wallstein Verlag ediertes Buch, in dem die Kontroverse der ungleichen Widersacher ausführlich dokumentiert wird. Hat man das alles noch einmal nachgelesen, so erscheinen einem die Werfel zuteil gewordenen Ehrenrettungsversuche um so komischer. Peter Stephan Jungk beispielsweise, der Herausgeber eines Werks mit dem Titel »Das Franz Werfel Buch«, behauptete darin 1986, »zu Werfels erbittertstem Feind und ätzendstem Verächtlichmacher« sei Kraus »aufgrund einer eher harmlosen Klatschgeschichte« geworden – »eine Wiener Haß-Historie, die weit über den Tod des ›Fackel‹-Herausgebers hinaus wirksam bleiben sollte«. Demnach hätte es sich bei Kraus’ Polemiken gegen Werfel also nur um den Ausfluß einer übertriebenen und ungerechtfertigten persönlichen Animosität gehandelt, um ein Wiener Lokalereignis, das bedauerlicherweise einen unverdienten Schatten auf Werfels Nachruhm warf. So billig wird sich in Zukunft kein geistig integrer Verehrer Werfels mehr aus der Affäre ziehen können.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
01.05.2024 Berlin, 1.-Mai-Fest der PARTEI Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg