Humorkritik | August 2012
August 2012
Merkels Heimspiel
Wolfram Weimer, der ehemalige Metaphernsalatkopf von Cicero und kurzzeitige Focus-Chef, hat eine Satire namens »Heimspiel« geschrieben, die von einer fußballbegeisterten Kanzlerin handelt. Das Lesen hat mir viel Verdruß bereitet, aber auch ein wenig Vergnügen. Am Verdruß ist die Handlung schuld: Denn was sich Weimer unter »grotesken Geschehnissen« und einer »beißenden Entlarvung des Politikbetriebs« vorstellt, der die »Fratze einer tiefergreifenden Demokratie- und Kulturkrise offenbart« (Klappentext), ist, soviel sei verraten, hanebüchener Unfug. Daß die CSU knapp vor der Fußball-WM Franz Beckenbauer als Kandidaten für die Bundespräsidentschaft aufstellt, mag man hinnehmen. Warum aber muß die Kanzlerin als Reaktion darauf »ganz schnell möglichst viel über Fußball lernen«? Antwort: »Die nächsten Wochen werden mit Gesprächen und Interviews über Fußball gefüllt sein.« Und warum muß dies »ungeheuer diskret« vonstatten gehen? Weil andernfalls »die Defizite der Kanzlerin … rasch in ganz Fußball-Deutschland bekannt« wären. Merkel verwechselt im Interview Anpfiff mit Abseits – stellt sich Wolfram Weimer so den Staatsskandal vor? Doch es kommt noch schlimmer bzw. dümmer: Günter Netzer wird als Nachhilfelehrer engagiert und nimmt die Kanzlerin mit in die Frankfurter Commerzbank-Arena – in Verkleidung natürlich, denn es wäre ja nicht auszudenken, ertappte jemand die Regierungschefin in der Fankurve. Horribile dictu: Jemand schüttet ihr »kaltes Bier ins Genick«, sie muß bei einem Fangesang mithüpfen und bemerkt am Ende, daß das Stadion kameraüberwacht ist. Durch innerparteiliche Intrigen wird die Aufnahme Sat.1 zugespielt – offenbar kann man die Kanzlerin, die im Stadion unerkannt blieb und mit einem Schal vermummt war, auf einem Überwachungsvideo identifizieren. Warum die Ausstrahlung derart heikel ist, bleibt ein Rätsel. Weil Merkel als zu volksnah gelten würde? Weil ihr ein Verhältnis mit Netzer nachgesagt werden könnte? Um abzulenken, beschließt die Kanzlerin gemeinsam mit Hillary Clinton (!) die »Einführung von Fußballmannschaften gemischter Geschlechter«. Die »Agenturen überschlagen sich mit Eilmeldungen«, ein »globaler Sturm der politischen Korrektheit entlädt sich«, denn »keiner traut sich, die Idee offiziell zu kritisieren, man könnte ja als frauenfeindlich gelten«. Soweit Weimers Quatschplot. Und das bißchen Vergnügen? Das stellt sich dort ein, wo die Sprache von Autor und Kanzlerin in eins fällt und aus Merkels Sicht erzählt wird: »Da stapeln sich die Akten, und die schenken ihr ein Stück Geborgenheit in diesem Raum kühler Distanzenergie«, »In den Augen der Fans erkennt sie reine Emotionen« oder »Schon beim Landeanflug sieht sie das illuminierte Stadion daliegen wie ein gelbliches Nest im Wald vor der Skyline-Kulisse«. Das amüsierte mich, denn so könnte es Merkel, die im echten Leben Rücktritte »auf das allerhärteste« bedauert, tatsächlich durchs Gehirn wabern. Sind aber diese Sätze parodistisch oder Weimers Originalstil? Ich vermute, zweiteres. Schließlich nennt Weimer sein Buch im Untertitel »Eine alternativlose Realsatire«, und wo »alternativlos« noch gut als Merkelsprache kenntlich ist, da geht die saudumme »Realsatire« hundertprozentig auf Weimers Konto.