Humorkritik | März 2011
März 2011
Shakespeare revisited
Die unzählbar vielen Bücher, die in den letzten vier Jahrhunderten über Leben und Werk William Shakespeares verfaßt worden sind, würden übereinander gestapelt die Strecke von der Erde bis zum Mars füllen. Diese kühne Behauptung ist genauso unbeweisbar wie das meiste, was in diesen Büchern über Shakespeare zusammenfabuliert wird. Der geborene Amerikaner und Teilzeitbrite Bill Bryson hat in seinem Buch »Shakespeare wie ich ihn sehe« (Goldmann) zusammengefaßt, was wir über Shakespeare wirklich wissen. Es ist ein schmales Werk und enthält außer den Fakten zur Person auch noch ein paar hübsche Anekdoten über die Shakespeareforscher, denen wir das Wenige zu verdanken haben.
Die hübscheste handelt von einem amerikanischen Ehepaar namens Wallace, Charles und Hulda, die zu Anfang des vorigen Jahrhunderts nach London übersiedelten, um vor Ort das gesammelte Stadtarchivmaterial nach Erwähnungen des Namens Shakespeare in einer der womöglich achtzig verschiedenen Schreibweisen, die uns bekannt sind, systematisch zu durchsuchen. Die Anzahl der Dokumente aus den zwei Jahrzehnten, die Shakespeare mehr oder weniger in London verbracht haben dürfte, geht in die Millionen, und so verwundert es nicht, daß die Wallaces nach knapp zehn Jahren, in deren Verlauf ihnen vierundzwanzig durchweg belanglose Neuentdeckungen vergönnt waren, darunter immerhin eine eigenhändige Unterschrift, dem psychischen und finanziellen Ruin nahe, in ihre amerikanische Heimat zurückkehrten.
Aber der Hammer – um mit Mario Barth zu brüllen – kommt ja noch: Wallace war nämlich einem neuen Wahn verfallen und glaubte nun, ergiebige Ölquellen durch bloße Außenansicht erkennen zu können. Er kaufte also von seinem letzten Geld ein Stück Land in Texas und – so drückt es Bill Bryson aus: »Das Land erwies sich als eine der ergiebigsten Ölquellen, die je gefunden wurden. Wallace starb 1932, steinreich und nicht sehr glücklich.«
Klingt das nicht wie bei Shakespeare, als wär’s ein Stück von ihm? Woher denn! Solche wahnsinnigen Willkürakte, wie sie das wahre Leben walten läßt, hätte er sich nie erlaubt.