Humorkritik | Mai 2010

Mai 2010

Großartiges Geschimpfe

In Großbritannien wird am 6. Mai gewählt, und selten habe ich mir aus so eigennützigen Motiven gewünscht, daß eine ganz bestimmte Partei gewinnen möge, wie in diesem Fall: Ich hoffe nämlich sehr, daß Labour an der Macht bleibt. Nicht etwa, weil Gordon Brown und seine Mannen so glänzende Arbeit abgeliefert hätten, nein, ganz im Gegenteil – weil seine Versagertruppe schon über drei Jahre hinweg Armando Iannuccis exzellente Politsatire »The Thick Of It« (BBC2) überhaupt erst möglich gemacht hat.

 

Denn selbst wenn weder der Premier persönlich je zu sehen ist, noch der Name seiner Partei auch nur erwähnt wird, so ist doch klar: Die Minister, hinter denen der »Director of Communications«, sprich: der cholerische Spin-Doctor aus Downing Street, Malcolm Tucker (Peter Capaldi), regelmäßig die Scherben zusammenkehren muß, sind eindeutig aus dem linken Lager. Und ganz gleichgültig, ob da Statistiken verlorengehen und sich unterschiedliche Departements gegenseitig die Verantwortung dafür zuschieben, ob die Medien die ungeschickte Äußerung einer Ministerin so deuten, daß sie sich als nächste Parteivorsitzende empfiehlt, oder ob dieselbe Ministerin sich in einer Radiodebatte mit ihrem konservativen Konkurrenten um Kopf und Kragen redet – Tucker löst fast alle Probleme mit einem bewährten Rezept: Er faltet die Schuldigen nach allen Regeln der Kunst zusammen, zieht mächtig an den Strippen von Medien und Politik und entwickelt in seinen Suaden aus Beschimpfungen, Drohungen und Manipulationen eine solch stupende Energie, daß sich das Einschalten allein für seine Wutausbrüche lohnt. Nicht ohne Grund hat Iannucci eigens einen Autor für die Tiraden Tuckers abgestellt. Diese machen mittlerweile einen Gutteil des Kultstatus aus, den »The Thick Of It« (dt. soviel wie »Mittendrin« oder »Im Gewühle«) in Großbritannien längst genießt.

 

Dabei ist Iannucci ein kleines Wunder gelungen, denn die Serie lief zunächst 2007 mit nur drei Folgen gut versteckt auf BBC4, und der Hauptdarsteller des ersten Jahres, Chris Langham, stand für weitere Folgen quasi über Nacht nicht mehr zur Verfügung, weil er für den Besitz von Kinderpornographie angeklagt und verurteilt wurde – was nicht nur das Aus seiner Karriere bedeutete, sondern leicht auch das der Serie hätte sein können. Doch Iannucci verlagerte in den folgenden Specials geschickt den Fokus auf die Opposition und ihr Schattenkabinett, erzielte einige Aufmerksamkeit durch eine prophetische Parallele zwischen der Serienhandlung, in der der Ministerpräsident mit Rücktritt drohte, und dem tatsächlichen Rücktritt von Tony Blair, und besetzte für die letzte Staffel 2009 mit Rebecca Front (»Knowing Me, Knowing You… With Alan Partridge«) eine großartige Schauspielerin in der Rolle der glücklosen Ministerin Nicola Murray. Bislang der größte Erfolg für Iannucci und sein Autorenteam dürfte die Oscar-Nominierung 2009 für »In The Loop« gewesen sein, den Spielfilm-Spinoff zur Serie, u.a. mit dem brillanten James Gandolfini (»The Sopranos«) als US-Soldat.

 

Nun wäre es für Iannucci gewiß kein Problem, in der nächsten (schon genehmigten) Staffel abermals das konservative Lager ins Visier zu nehmen – möglicherweise ergäben sich sogar noch bösere, abgründigere, schneidendere Kommentare zur politischen Lage. Schade aber wäre es um die wunderbare Figur des Malcolm Tucker, die ich im soeben erschienenen DVD-Boxset in ganzer Größe zu besichtigen hiermit dringend empfohlen haben will.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella