Humorkritik | Juni 2010

Juni 2010

Fritz »Janzderalte« Raddatz

Wenn der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, zum Zeichen des Triumphs über kleinliche Sparer zwei Finger zum Victory-Zeichen spreizt, wird selbst im Wirtschaftsteil der FAZ bezweifelt, ob das so angemessen war. Wenn der Chef des Deutschen Fußballbunds, Theo Zwanziger, seinen jungen Schiedsrichtern die Stange hält, hat er auf allen Sportseiten für den Spott nicht zu sorgen. Wenn der Chef der katholischen Kirche, Josef Ratzinger, im Angesicht der Mißbrauchsvorwürfe gegen seine Corona eisern Sexualmoral predigt, geht ein schmerzliches Aufstöhnen selbst durch kirchennahe Kreise. Wenn jedoch der einschlägig vorgewarnte Sprachvergewaltiger Fritz J. Raddatz in einem Leitartikel der Literarischen Welt den durch klaffende Bildungslücken und zunehmende Schlamperei bedingten Niveauverlust im deutschsprachigen Feuilleton beklagt, regt sich so schnell kein deutschsprachiger Feuilletonist mehr auf.

 

Außer mir.

 

Denn ich kann mich durchaus noch an die Bildungslücken und Schlampereien erinnern, für die Fritz »Jedächtnis« Raddatz nicht nur in Fachkreisen seit jeher berüchtigt war. »Wir befinden uns im kulturellen Sinkflug«, befindet nun der Jroßkritiker gleich im ersten Satz seines Lamentos und blättert sodann in seiner umfangreichen »Ausschnittsammlung«. Was er dabei herauskramt, sind die üblichen Irrtümer, die verschiedenen deutschsprachigen Kritikern nicht erst seit gestern unterlaufen. Weder quantitativ noch qualitativ reicht seine Sammlung an das heran, was Fritz »Joethe« Raddatz janz alleene uns jahrelang geboten hat.

 

Gern erinnere ich mich an seinen beruflichen Infarkt von 1985: einen Zeit-Artikel zur Buchmesse, in dem er Goethe vom Frankfurter Hauptbahnhof abholen wollte – nur ein bißchen zu früh, denn die erste deutsche Eisenbahn verkehrte erst Jahre nach Goethes Tod. Was dem Literaturluder sonst noch so an peinlichen Fehlern unterlaufen ist, hat mein seliger Kollege Robert Gernhardt zu unser aller Vergnügen nimmermüde aufgelistet: falsche Konjunktive (»unterschiede« statt »unterscheide«), falsche Namen (»Colombray« statt Prousts »Combray«), falsche Begriffe (»Gouache« statt »Collage«), falsche Jahreszahlen (der Tucholsky-Biograph wollte seinem Helden 1985 zum 90. Geburtstag gratulieren, obwohl es schon der 95. war) – von seinen zuspätexpressionistischen Sprachschröpfungen ganz zu schweigen.

 

Und dabei geht es ihm angeblich immer noch »um die Würde des Objekts, des Kunstwerks«. Richtig unappetitlich wird es nämlich erst, wenn dieser Erzschlamper nun in einem Jargon, der sich liest wie eine unbeholfene Übersetzung aus dem Alt-Philiströsen, zur Andacht ruft: »Kann ein Kulturjournalist sich nicht mehr die Zeit nehmen, um sich der heiteren Spannung vor einem Bild von Velázquez oder Vermeer hinzugeben, die es ihm auferlegt; kann jemand nicht mehr dieser rätselhaft ziehenden Melancholie beim Anhören von Mischa Maiskys Spiel des Bachschen ›Ave Maria‹ (wenn auch in der leicht kitschbepuderten Fassung von Gounod) nachsinnen; kann er nicht langsam versinken im Unauflöslichen von Rilkes Grabspruch: Wie soll er dann Kunde geben von den Wundern der Kunst? Das jedoch ist die Aufgabe des Kritikers.«

 

Daß seine jüngeren Kollegen sich derlei von einem derartigen Schmock im Gärtnerkostüm sagen lassen, läßt für mich nur zwei Schlüsse zu: Entweder sie schonen ihn ob seines Kohl-ähnlichen Alters – oder sie nehmen ihn schon lange nicht mehr ernst. Und daran tun sie recht.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella