Humorkritik | Oktober 2009

Oktober 2009

Neues von Wenzel Storch

Weil es ja sonst keiner tut, will wenigstens ich drauf hingewiesen haben: Wenzel Storch, wahrhaft exzentrische Filmerlegende aus Hildesheim (»Sommer der Liebe«, »Die Reise ins Glück«), hat sich nun auch im Genre Musikvideo versucht und Bela B.s Single »Altes Arschloch Liebe« in Bewegtbilder übersetzt. Und zwar recht erfolgreich! Hat das Video doch wirklich alles, was ein echter MTV-Smash-Hit braucht: lebende Pudel, Schmalfilm-Optik, Handpuppensex. Sehen Sie es sich halt selber im Netz an, kostet nichts und klingt auch noch ganz gut.

 

Erstmals liegt jetzt auch Storchs graphisches und literarisches Werk in einem gewichtigen Sammelband vor (»Der Bulldozer Gottes«, Ventil Verlag, 280 Seiten), von den frühesten Kugelschreiberzeichnungen bis zu den liebevoll bebilderten kulturkritischen Aufsätzen, die in den letzten Jahren in loser Folge in Konkret erschienen sind. Gelegentlich fällt Storch darin harte, wenn auch keineswegs ungerechte Urteile: Der Begriff »Jazzrock«, schreibt er beispielsweise, stehe »für klebrige Partnertauschmusik«, und Heinrich Bölls Erzählung »Die verlorene Ehre der Katharina Blum« sei »nicht viel mehr als ein aufgeblasener Pennälerscherz«. Doch Storch macht keinen Hehl aus seinem halb kindlichen und halb diebisch durchtriebenen Vergnügen am Trash in jeder nur denkbaren Form: Hans Moser, Petzi, Flipper, Karl May, das Buschkänguruh Skippy, die Familie Cartwright und die Zeugen Jehovas sind ihm ebenso lieb und teuer wie die monströsen weiblichen Unterwäsche-Models der Seventies und andere populäre Wichsvorlagen aus seiner Jugendzeit. Und es bereitet ihm als Meßdiener a.D. offensichtlich einen Heidenspaß, die vergessenen Helden des christlichen Widerstands gegen die Pille und den irregulären Geschlechtsverkehr noch einmal auf- und hochleben zu lassen und sich an der Verschrobenheit dieser einstmals furchtbar einflußreichen Gestalten zu ergötzen.

 

Illustriert hat er die Texte mit genialischen Skizzen von eigener Hand und mit prächtigen Bilddokumenten aus seinem scheint’s unerschöpflichen Fundus. Ich kenne niemanden, der seit mehr als dreißig Jahren leidenschaftlicher damit beschäftigt gewesen wäre, ulkige, bizarre, abstoßende und/oder schweinöse Bilder aus Versandhauskatalogen, Comics, Schmuddelheftchen, Popzeitschriften und Groschenblättern auszuschneiden, aufzuheben und im richtigen Moment hervorzuzaubern. Storch ist der Archivar aller Beweise für die ferkelhafte Unvernunft des deutschen Kulturvolks, und er arrangiert sein Beweismaterial mit Kunstverstand und angenehm maßvoller Schadenfreude.

 

Wunderbarerweise ist er aber auch in der Hochliteratur bewandert, soweit sie ihn interessiert. Über Arno Schmidt und Walter Kempowski weiß er jedenfalls Interessanteres zu sagen als so mancher Lehrstuhlinhaber. Wenn ich mir jetzt zu meinem Glück noch etwas wünschen dürfte, wären es lange und verspielte Essays von Wenzel Storch über Rolf Dieter Brinkmann, Louis de Funès und Robert Crumb.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner