Humorkritik | Oktober 2009
Oktober 2009
Kriminal & Komik
Für einiges zu loben ist Ferdinand von Schirachs Skizzensammlung »Verbrechen« (Piper): die trinkwasserklare Sprache, mit der der Berliner Rechtsanwalt bemerkenswerte Kriminalfälle (zumindest scheinbar) objektiv beschreibt, oder wie er es schafft, zu Menschen, die Schreckliches getan haben, Nähe zu erzeugen, indem er sie (ganz im Sinne Foucaults) nicht diskursiv aus der Gesellschaft ausschließt. Jeder, das ist die Quintessenz von »Verbrechen«, kann in die Situation kommen, kriminell zu werden.
Diese Qualitäten mögen auf Profession und Professionalität Schirachs zurückzuführen sein – er ist ein begabter Rhetoriker und hat schon von Berufs wegen ein empathisches Interesse an seinen Mandanten –, nicht aber, daß seine Texte passagenweise erstaunlich komisch sind. Mitunter kamen mir, wenn ich über die Lakonie lachen mußte, mit der da finstere Vorgänge beschrieben werden, Fauser und Bernhard in den Sinn: »Manchmal bediente sich Pocol Wagners. Er verprügelte Wagner, wenn er frech wurde, es das letzte Mal zu lange her war oder er einfach Lust dazu hatte. Ansonsten hielt er ihn für Abfall.« Oder: »Pocol nickte grunzend, wandte sich von Samir ab und schlug Özcan mit einem flachen Holzbrett, das er für solche Fälle im Laden hatte, auf die Stirn.«
Natürlich sind Schirachs Texte nicht genuin komisch, es sind eher kleine komische Funken, die vor dem meist rabenschwarzen Hintergrund manchmal trivialer, manchmal tragischer Verbrechen um so heller leuchten. Es ist grausamkomisch, wie man da Züge aufeinanderzurasen sehen kann, wenn etwa eine Prostituierte, deren Kunde eines natürlichen Herztodes verstorben ist, in Panik fortläuft, ihr Freund dann wenig später die Leiche findet und annimmt, es sei an ihm, sie verschwinden zu lassen. Oder wenn drei nicht allzu intelligente Kleinganoven sich infolge eines Einbruchs plötzlich mit der japanischen Mafia konfrontiert sehen, die einen blutigen Feldzug in Gang setzt. Oder zwei bewaffnete Provinz-Neonazis auf einem einsamen Bahnhof einen Mann mit der Erscheinung eines Buchhalters anpöbeln, dabei aber ungeahnt den kürzeren ziehen. Das wird schön trocken geschildert, kriegt aber am Ende immer die Kurve und stellt Opfer wie Täter nie, na gut: fast nie bloß (die Nazis sind eine Ausnahme). Vielleicht auch, weil hier der Fall nicht mit der Aufklärung endet, sondern, anders als bei gängiger Kriminalliteratur, mit dem Urteil – mit einer Wendung und einem Quentchen Komik mehr.