Humorkritik | November 2009

November 2009

Das Buch zum Land

Das amerikanische Satiremagazin »The Daily Show« mit Jon Stewart ist nicht nur als TV-Sendung erfolgreich; mittlerweile gibt es diverse Weiterungen, im Branchenjargon Spin-offs genannt: Stephen Colberts »Report« etwa. Aber auch im Printbereich folgten nach »America (The Book)« (TITANIC 2/2005) weitere Editionen, die aufwendig wie College-Lehrbücher gestaltet sind. Einerseits wird mit der Lehrbuch-Struktur gespielt, es gibt Parodien auf die üblichen Statistiken, Textaufgaben oder Diskussionen – vor allem aber Satire zu Geschichte, Politik und Soziologie. Diese Verwertungskettenglieder wahren recht oft die Qualität des Urprodukts und gehen manchmal sogar darüber hinaus. Man fragt sich beim Anschauen mitunter, warum es so etwas hierzulande nicht gibt; ist aber im selben Moment froh, weil man ahnt, wie ein hiesiges Produkt dann wieder aussieht.

 

Ob Jan Böhmermann Bücher wie »America (The Book)« oder auch den Atlas »Our Dumb World« der Satire-Zeitschrift The Onion kennt, weiß ich nicht; wenn man in seinem »Alles, alles über Deutschland – Halbwissen kompakt« (Kiepenheuer&Witsch) blättert, bekommt man den Eindruck, daß ihm zumindest alles Wichtige erzählt worden ist. Das Böhmermann-Buch ist ein Paperback und nicht vierfarbig illustriert, ansonsten springen die Parallelen ins Auge: In »America (The Book)« kann man u.a. lernen, wie man eine »nicht näher genannt werden wollende Quelle« wird, man erfährt etwas über berühmte Europäer (wie Hemingway, Jim Morrison oder Johnny Depp), und als Hausaufgabe muß man einen eigenen Staat gründen. Bei Böhmermann kann man was über »Die fünf besten Nazis aller Zeiten« erfahren, man soll die Quintessenz eines Thesenpapiers über Angela Merkel in einer Buntstiftzeichnung zusammenfassen und Deutschland auf der Landkarte einkreisen.

 

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Der Satz »Besser gut geklaut als schlecht erfunden« gilt immer noch, und das Niveau, mit dem Böhmermann die Methode auf deutsche Verhältnisse transponiert, ist erstaunlich hoch, es gelingen ihm viele gute Gags. Und wenn man seine Arbeit mit anderen einheimischen Erzeugnissen  abgleicht, dann hat ein Buch wie »Alles, alles über Deutschland« wenigstens das Klassenziel erreicht. Aber wenn man sich schon über eine halbwegs gelungene Adaption freuen soll, dann ist das ja vielleicht doch eher traurig.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella